Entwicklung statt Fortschritt

Das Fortschrittsdenken des 19. und 20. Jahrhunderts, dieses ‚Je-mehr-desto-besser‘ stößt an seine Grenze. Dass diejenigen, die nach uns kommen, ‚es einmal besser haben sollen als wir‘ und die Zukunft uns von Mühe und Not befreien werde, war eine lange gepflegte Erzählung, sie ist heute für viele nicht mehr gültig. Der Umbau vieler vertrauter Ziele und Wege ist nunmehr die Aufgabe. Da fällt es auf, dass sich außer der gestiegenen Verfügbarkeit äußerlicher Dinge zeitgleich auch ein Wandel im nicht-materiellen Bereich ereignet hat, bei den menschlichen Fähigkeiten, im sozialen Umgang, bei den Überzeugungen und Werten: ein immenser Zugewinn an persönlichem Freiheitsspielraum, eine Weiterentwicklung im gesellschaftlichen Miteinander bis hin in die rechtlichen Verhältnisse (z.B. gleichgeschlechtliche Ehe u.a.), zwar noch lange nicht überall etabliert und akzeptiert, aber erkennbar auf dem Weg in eine ,bessere‘ Zukunft. Diese Entwicklung ist nach oben offen und kennt keine ,Grenzen des Wachstums‘. Der Fortschrittsgedanke, der sich an äußerliche technologische Lösungen knüpft, steht in Frage, er kann sich in den Entwicklungsgedanken von menschlichem Potential umwandeln. Das Entwicklungsziel wäre dann nicht mehr eine noch weiter gesteigerte Verfügung über äußere Naturprozesse, sondern die Steigerung menschlicher geistiger, moralischer, ‚innerer‘ Möglichkeiten.

Es macht Sinn, sich zu vergegenwärtigen, was sich neben dem Weg in die Ausbeutung bzw. Zerstörung von Natur und Gewalt gegen Menschen an zivilisatorischem Prozess ergeben hat. Früher war eben weder alles besser noch alles schlechter. Vielmehr lohnt es sich, einmal genauer ins Auge zu fassen, in welchem Ausmaß sich rechtsstaatliche, friedliche, gewaltbefreite Lebensverhältnisse, dazu Werte von Freiheit, Gleichberechtigung, auch von sozialer Fürsorge entwickelt und realisiert haben. Diese Entwicklung des menschlichen Bewusstseins und seiner institutionellen Folgen in den Blick zu nehmen, könnte dabei helfen, einem Denken den Boden zu entziehen, das bei äußerlich-materiellen Beschränkungen sogleich den Rückfall in die Steinzeit argwöhnt.

Es erscheint als möglich und notwendig, die Dramatik und Herausforderungen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenhänge zu benennen – sicherlich nicht, sie als Katastrophen zu beschreiben, aber doch sie in den Fakten deutlich erscheinen zu lassen. Sie bilden einen Gegenpol zum Neuen, Humanen und Naturverträglichen, von dem die Rede ist als Idee, als werdende oder schon bestehende Wirklichkeit, als Motor der Veränderung und Entwicklung. Auf die Aufbruchstimmung und Zukunftsfähigkeit kommt es ja vor allem an, denn wem ist, im Jugendalter zumal, mit Analysen und Kritik des Faktischen allein gedient?  

Dann darf vielleicht sogar vom ‚guten Leben‘ die Rede sein, das sich eher nicht durch technischen Fortschritt und kaum durch ein Mehr von allem ergibt. Vielmehr wird es von Wertorientierungen, der Kultivierung persönlicher Fähigkeiten und einer aktiven, verantwortungsbewussten Lebenseinstellung abhängen und ganz sicherlich nicht durch einseitig beschworene Bilder von Gefahren, durch Zynismus oder Angstlähmungen verschiedener Art befördert werden. Und ausgemacht ist das Ende der Entwicklung, in der wir stehen, sowieso nicht: Insofern ist allein die Perspektive des Möglichen, der Offenheit, der Gestaltbarkeit von Zukunft eine sinnvolle Richtschnur.

„Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben“, heißt es in einem Morgenstern-Gedicht. Sinn macht in unserem Zusammenhang vor allem ein Bemühen um konkrete Ziele der Nachhaltigkeit.  Das ‚gute Leben‘ können wir heute nicht mehr ohne ein Miteinander mit den Kräften und Lebewesen der Natur gewinnen. Dass das so ist, mag für viele, die noch überwiegend im vergangenen Jahrhundert gelebt haben, eine neue Botschaft sein, für die im 21. Jahrhundert Geborenen sollte das zu einer Selbstverständlichkeit werden.

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