Für eine gemeinwohlorientierte Post-Corona-Ökonomie

Gemeinsamer Vorschlag der Vertreter*innen der internationalen Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie von 17 Ländern

Die international Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung (GWÖ), die mit diesem Text erstmals gemeinsam an die Öffentlichkeit geht, schlägt seit 2010 ein konsistentes und vollständiges alternatives Wirtschaftsmodell vor. Die GWÖ basiert auf Grundwerten – wie Nachhaltigkeit, Kooperation oder Gerechtigkeit – anstatt finanziellen Zielen Vorrang einzuräumen und auf Wettbewerb zu setzen. Das aktuelle Wirtschaftsmodell trägt viel zu wachsenden Gefahren für die Menschheit bei: Klimawandel, Verlust an Artenvielfalt, aber auch die aktuelle Pandemie. COVID-19 ist nur das jüngste einer Serie neuartiger Viren, welche die Gesundheit und das Leben der Menschen bedrohen. HIV, Ebola, Sars1, Mers und nun Sars2 sind alles Beispiele für Zoonosen, was bedeutet, dass Viren von Tieren auf Menschen überspringen. Es gibt wissenschaftliche Evidenz dafür, dass die steigende Zahl von Zoonosen eine Folge der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und des wachsenden Drucks des Menschen auf die Lebensräume von Wildtieren sind: durch Entwaldung, Jagd, industrielle Landwirtschaft und Luftverschmutzung.

Die aktuelle Pandemie kam – wie auch andere ökologische Gefahren – nicht ohne vorherige Warnungen von Wissenschaftler*innen: Grenzen des Wachstums (1972), Brundtland Report (1987), Earth Charter (2000), Millennium Ecosystem Assessment Synthesis Report (2005), oder das Konzept der „planetaren Grenzen“ (2009) sind prominente Beispiele. Das führt zu der Frage: Wie ist es möglich, dass diese Warnungen von Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen nicht ausreichend ernst genommen wurden?

Der Einfluss der Konzernlobbies

In den letzten Jahrzehnten haben machtvolle Wirtschaftslobbies viel Geld in die Hand genommen, um den Rio-Johannesburg-Prozess zu kapern, den Klimawandel in Frage zu stellen oder zu leugnen, wichtige Regulierungen für multinationale Unternehmen zu verhindern und, jüngst, einen Multilateralen Investitions-Gerichtshof (MIC) auf die Agenda der EU zu setzen, während die Menschen und die Natur keine vergleichbaren Klagerechte besitzen. Diese Interventionen wirken sich negativ auf die Natur und die Grundrechte der großen Mehrheit der Menschen aus, und sie beschädigen die Demokratie. In der Folge werden auch die systemischen Ursachen der ökologischen und Gesundheitsprobleme in der öffentlichen Diskussion unterbelichtet.

Die Medienaufmerksamkeit gehört vorrangig Impfungen und Produkten pharmazeutischer Unternehmen. Die fortschreitende Privatisierung der Weltgesundheitsorganisation WHO – die Bill and Melinda Gates Foundation ist bereits ihr zweitgrößter Geldgeber – unterminiert demokratische Politik und Prioritätensetzung. Ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis würde Strategien zur Vermeidung von Zoonosen beinhalten – durch die nachhaltige Transformation von Wirtschaftsweisen und Lebensstilen, und zur Förderung der menschlichen Gesundheit und Resilienz durch gesunde Ernährung, sichere Arbeitsplätze, Stärkung des sozialen Zusammenhalts und die Verringerung der Armut.

Für eine Gemeinwohl-Ökonomie

Seit 2010 hat sich die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung in 30 Länder auf alle Kontinente ausgebreitet, 200 aktive Gruppen sind entstanden. 3000 Organisationen unterstützen die Bewegung, 700 Unternehmen, Schulen, Universitäten, Gemeinden und Stadtbezirke haben eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Acht regionale Regierungen in Spanien, Österreich und Deutschland haben die GWÖ in ihre Regierungsprogramme aufgenommen. 2015 veröffentlichte der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Initiativstellungnahme zur GWÖ, in einer zweiten, von der Kommission beauftragten Stellungnahme bezeichnete er die GWÖ als „neues nachhaltiges Wirtschaftsmodell“.

Die GWÖ ist eine ethische Marktwirtschaft, in der Unternehmen und Eigentum dem Gemeinwohl dienen – um die globalen Ökosysteme und demokratische Grundwerte zu schützen: von der Menschenwürde über Gerechtigkeit und Solidarität bis Nachhaltigkeit und Mitentscheidung. Das Gemeinwohl-Produkt, das die relevantesten Aspekte von Lebensqualität misst, könnte das BIP als Erfolgsmaß für Volkswirtschaften ablösen. Eine Ökonomie, welche Grundbedürfnisse und Grundwerte zum Ziel hat, und Geld und Kapital nur als Mittel zur Erreichung dieser Ziele betrachtet, ist das, was im antiken Griechenland unter ‘oikonomia’ verstanden wurde. Finanziellen Zielen Vorrang zu geben, bedeutete ihr Gegenteil: ‘chrematistiké’ oder Kapitalismus, wie wir es heute nennen. Eine am Gemeinwohl orientierte Wirtschaftsweise ist der einzige Weg, unseren Kindern und Enkeln einen intakten und lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Die aktuelle Covid-19-Krise eröffnet uns die Chance, diesen Übergang zu meistern.

Neue Prioritäten im Krisenmanagement

Im aktuellen Krisenmanagement sollten vergangene Fehler vermieden werden: In der Finanzkrise 2008 wurden so genannte „systemrelevante“ Unternehmen, viele davon eng verbunden mit den erwähnten Lobbies, mit Steuergeldern gerettet. Es ist Zeit, die Hilfsmaßnahmen stattdessen darauf zu richten, was wir alle brauchen:

  •  Öffentliche Investitionen in Gesundheit, Bildung, nachhaltige Mobilität, leistbares Wohnen, und die Erzeugung gesunder Lebensmittel, womit sinnvolle und klimafreundliche Arbeitsplätze geschaffen werden können, welche die Wirtschaft auf Nachhaltigkeitskurs bringen.
  • Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das ausreicht, die menschlichen Grundbedürfnisse zu decken.
  • Mindestlohn (deutlich höher als das BGE) und Maximaleinkommen, um die Ungleichheit auf ein moderates Maß zu reduzieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Wir sind uns der Dimension der vorgeschlagenen Änderungen und der enormen Herausforderungen, die sie beinhalten, bewusst – zumal das gegenwärtige Wirtschaftsmodell fest etabliert ist und viele Menschen davon abhängen. Trotzdem engagieren sich immer mehr Unternehmen, Gemeinden, Regionen und Regierungen für die Umsetzung dieser neuen Ideen und Praktiken. Firmen, die begonnen haben, soziale, ökologische und demokratische Verantwortung zu übernehmen, erhalten Nachhaltigkeitspreise und Unterstützung von allen Seiten. Städte wie Barcelona, Amsterdam, Stuttgart oder Wien unterstützen vermehrt diese notwendigen Veränderungen. Die wachsende GWÖ-Bewegung ist bereit, mit noch mehr Menschen, Organisationen und Regierungen zusammenzuarbeiten, um die beschriebenen Ziele zu erreichen.

Planet Erde, 15. Juni 2020

www.ecogood.org