Perspektiven des Wandels

Nur eine Krise – tatsächlich oder wahrgenommen – führt zu echten Veränderungen. Wenn diese Krise auftritt, hängen die ergriffenen Maßnahmen von den herumliegenden Ideen ab. Ich glaube, darauf kommt es an: Alternativen zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu erhalten, bis das politisch Unmögliche zum politisch Unvermeidlichen wird (Milton Friedmann 1962)

Wovon gehen wir aus? Endzeit oder Aufbruch? Sprechen wir von Möglichkeiten oder vom aktuellen Desaster? Sehen wir in der Zukunft überwiegend die Gefahren oder das Potential, das sie birgt? Verschiedene Zukunftsforscher und Publizisten sehen den Wandel als eine Chance.

In ihrem aktuellen Bestseller „Unsere Welt neu denken“ führt Maja Göpel dazu aus: Was im Kleinen funktioniert habe, nämlich ein Stück Natur in ein Konsumprodukt umzuwandeln, das funktioniere im Großen so nicht mehr, wenn es alle exzessiv betreiben. Neue Regeln der Begrenzung sind die logische und notwendige Folge dieser Entwicklung, das allein bewahrt den zukünftigen Generationen ihre Freiheit. Die planetaren Grenzen einhalten und dadurch Freiheitsspielräume in der Zukunft ermöglichen, so denken wir Begrenzung und Freiheit neu zusammen. Die alten Begriffe von Bilanzen und Preisen stimmen für die neue Realität nicht mehr, sie müssen neu gedacht werden, sie müssen neben der ökonomischen Wertschöpfung die „ökologische Schadschöpfung“ beinhalten.

Das bedeutet nichts anderes als einen grundlegenden Paradigmenwechsel zu vollziehen, so Uwe Schneidewind, Präsident des ‚Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie‘ und Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal. Er beschreibt ihn als einen Übergang von der „expansiven Moderne“ zur „reduktiven Moderne“, zu einer Gesellschaft, die ein gutes Leben mit nur einem Fünftel des heutigen Verbrauchs an Material und Energie sichert, als „große Transformation“ in den Bereichen Wohlstand und Konsum, Energie und Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft, und nicht zuletzt als Anstoß zu einem tieferen Naturverständnis. Diesen transformativen Epochenübergang erleben wir zunächst als Wertewandel und als Umschwung in den Utopien des Wünschenswerten. Der Ausgangspunkt der Transformation ist ein Bewusstseinswandel, eine kulturelle Wende.

Stefan Ruf stellt in seinem Buch „Klimapsychologie“ die gegenwärtige Umbruchzeit in einen menschheitsgeschichtlichen Entwicklungszusammenhang. Er lenkt den Blick auf die großen Umbrüche in der menschlichen Bewusstseinsgeschichte, die sich von der magischen über die mythische hin zur rationalen Entwicklungsstufe erstreckt, in der die Menschheit gelernt hat, kausal, analytisch und wissenschaftlich-modern zu denken und zu handeln. Der darauf folgende Entwicklungsschritt des ökologisch vernetzten und ganzheitlichen Denkens, in dem gelernt werden muss, die im Denken und Erkennen zerstückelte Welt wieder zu einem Ganzen zu integrieren, könne in Anlehnung an Ken Wilber als Stufe des integrativen oder ,integralen´ Bewusstseins beschrieben werden.

Als Psychotherapeut stellt er sich die Frage, warum wir so viel wissen und doch so wenig zu handeln in der Lage sind. Die massive Entfremdung von der Natur und der Mitwelt des Menschen wirke wie ein Mythos, und Mythen entfalten unglaubliche Kräfte. Glaubenssätze unseres aktuellen Mythos sind die Erzählung vom ewigen Wachstum, des ‚Immer-mehr‘, statt des Erlebens der kreislaufartigen Naturprozesse von Werden und Vergehen, der Wahrnehmung der Welt in weiten Teilen als etwas Totes, als etwas zu Konsumierendes. Er beschreibt die psychischen Konsequenzen dieses Weltbildes als Leere, Unrast, Angst etc. und erörtert Schritte zu ihrer Überwindung: Der Mensch ist in der Lage, sich seiner Ressourcen, seiner inneren Quellen oder „ökologischen“ Seite zu vergewissern, sie zu spüren („Achtsamkeit“) und sie zu denken, ja er kann an seinen inneren Qualitäten, seinen „Seelenfähigkeiten“ arbeiten.

Für Harald Welzer, den bekannten Kritiker unserer „Konsumhölle“, ist es wichtig, von den zivilisatorischen Errungenschaften auszugehen, die wir bereits – in liberalen, rechtsstaatlichen Verhältnissen – erreicht haben. „Wir können als Bewohnerinnen und Bewohner der Moderne auf eine – vielfältig gebrochene und oft ambivalente, aber doch – atemberaubende Geschichte humanen Fortschritts zurückblicken und einen zivilisatorischen Standard in Sachen Freiheit, Teilhabe, Sicherheit und Wohlstand genießen, der historisch beispiellos ist.“ So heißt es in dem aktuellen Titel „Alles könnte anders sein“. Dazu gehört es auch, die Ansätze einer positiven Entwicklung zu würdigen: „Tatsächlich ist die Geschwindigkeit, mit der Regenwälder abgeholzt werden, bereits zurück gegangen, und der ‚Environmental Performance Index‘, der die Qualität von Luft, Wasser, Wald usw. misst, weist in fast allen Ländern Verbesserungen über das vergangene Jahrzehnt auf.“(Welzer S. 282) Gleichzeitig beschreibt er das Desaster: „Aber der Stoffwechsel, auf dem dieser Fortschritt beruht, ist nicht fortsetzbar im 21. Jahrhundert, dazu ist er – für das Erdsystem, das Klima, die Biosphäre, die Meere, viele Menschen – zu zerstörerisch.“ Wir sollten die Errungenschaften und die Katastrophe zusammen denken, dabei sei es entscheidend, wie wir Entwicklungen darstellen, die in die Zukunft münden. Es gehe um das „Weiterbauen am zivilisatorischen Projekt“.

Zum Zwiespalt zwischen Wissen und Handeln führt er aus, dass wir immer meinen, „wir leben in einer ,Wissensgesellschaft´. Nichts könnte falscher sein: wir leben in einer Gesellschaft, in der Wissen gelehrt und Unwissen praktiziert wird, ja, in der Tag für Tag gelernt wird, wie man systematisch ignorieren kann, was man weiß.“ (Welzer S. 24) „Dieses hehre Ziel (einer natur- und menschengemäßen Zivilisation) ist, man ahnt es, mit Moralismus und CO2-Diagrammen, mit Spezialworten sie ,Suffizienz´ und ,Resilienz´, mit Akronymen wie ,SDGs´ und ,IPCC´ nicht zu erreichen.“ D.h. Wissenschaftlichkeit ohne leidenschaftliches Fühlen, Wünschen und Begehren, ohne unsere Moralität, die zum ,richtigen‘, vernünftigen Handeln aufruft, werden wirkungslos bleiben.

„Erziehung besteht nicht in der Vermittlung von Sachen und Stoffen, sie besteht vielmehr in der Art des Handelns, Denkens und Sprechens.“ So äußerte sich Hannah Arendt über die Erziehung.  Für sie ist Denken und Urteilen bereits der Beginn des Handelns. Sie ergänzt wörtlich: „Im Politischen kann die konservative Haltung, die die Welt, so wie sie ist, akzeptiert, und nur danach strebt, sie in ihrem Status quo zu erhalten, nur ins Verderben führen, weil die Welt im Ganzen wie alle einzelnen Dinge in ihr unabänderlich dem Ruin der Zeit überantwortet ist, wenn die Menschen sich nicht entschließen, einzugreifen, zu ändern, Neues zu schaffen.

Sich weiterentwickeln, im Bewusstsein zunächst, dann kulturell, ökologisch, sozial und wirtschaftlich, dieser anstehende Prozess braucht zweifelsohne ein neues Denken und Erkennen. Für diese Arbeit des Schöpfens aus dem inneren Potential ist gerade das Jugendalter, ist also der sogenannte Schulunterricht der Ort – wo sonst können die entscheidenden Grundlagen für wesentliche nächste Schritte gelegt werden?

Verwendete Literatur:
Maja Göpel: Unsere Welt neu denken, Berlin, 2020
Stefan Ruf: Klimapsychologie, Frankfurt am Main, 2019
Uwe Schneidewind: Die große Transformation, Frankfurt am Main, 2019
Harald Welzer: Alles könnte anders sein, Frankfurt am Main, 2019

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