Altkleider recyclen

Was durch die Luke passt: „Solche Container sind Abfallsammelstellen“

von Eva Goldschald / FAZ 8.2.2022

Die meisten Deutschen benutzen sie regelmäßig: Altkleidercontainer. Die wenigsten wissen, was dann mit den ausrangierten Teilen passiert. Der Leiter eines Sortierbetriebs über ein undurchsichtiges System und wie sich unsere Mode nicht zum Besseren verändert.

Herr Thate, in Ihrem Betrieb sortieren gut 200 Mitarbeiter das, was täglich in den Altkleidercontainern landet. Wie oft misten Sie selbst zuhause aus?

Zu Weihnachten stand ich vor dem Kleiderschrank, um Ordnung zu schaffen. Ich bügelte meine Hemden und stellte fest, dass ich die gar nicht mehr trage, obwohl ich mir in den letzten zwei Jahren so gut wie nichts Neues gekauft habe. Hier mal eine Hose oder ein T-Shirt, das war’s. Ich ziehe mich gern gut an, aber kaufe mit Bedacht. Wenn ich zwei- oder dreimal pro Jahr ausmiste, kommt das in meine Textilsortierung.

Bevor Sie Ihre Firma Geo-Tex gründeten, haben Sie einen Secondhand-Shop in Amsterdam geleitet und einen Vintage-Großhandel unterhalten. Warum dann Altkleider?

Wir wollten eigentlich das finden, was wir schon als Handelsware aus dem Vintage-Geschäft kannten: zum Beispiel saubere, blütenweiße Tisch­wäsche, gestickt, gehäkelt und mit Spitze verziert. Schnell wurde uns klar, dass wir nur das bekamen, was man in den Haushalten nicht mehr brauchte. Dazu ge­hörte minderwertige, kaputte, verdreckte Bekleidung. Alles, was durch die Luke eines Containers passt, war da auch drin, inklusive Müll. Wir standen vor einem großen Haufen, der irgendwie verarbeitet werden musste. Das war 1991.

Damals haben sich die Deutschen von der Haus- und Straßensammlung verabschiedet, das Containersammel­system kam auf. Ein äußerst undurchsichtiges System. Haben Sie das auch erlebt?

Unternehmen riefen bei Textilverwertern wie mir an und erkundigten sich nach unseren Arbeitsstrukturen. Sie ga­ben mich als zertifizierten Verwerter in der Kette an, wurden grob überprüft, und man hörte nie wieder von ihnen. Niemand weiß, was anschließend mit der Ware passiert. Bis heute hat sich noch keine Kommune bei uns rück­ver­sichert, ob der Händler, der für seinen Zuschlag unser Zertifikat eingereicht hat, die erworbene Menge vollständig, in Teilen oder gar nicht an uns veräußert hat.

Welche Gründe haben die Verantwortlichen der Altkleidercontainer, die Spenden nicht Ihnen zu schicken?

Geht die Ware ins Ausland, besonders ins Nicht-EU-Ausland, müssen die An­lagenbetreiber zum Beispiel weniger strenge Auflagen erfüllen als wir hier. Es entstehen weniger Kosten für Sicherheit, Mitarbeiter und Entsorgung. Wo der Anteil an Müll landet, ist nicht nachvollziehbar.

Könnten die Kommunen dagegen vorgehen?

Es ist besser geworden, nur noch wenige Auf­träge gehen an solche Händler. Trotzdem fehlt ein richtiges Monitoring. Wir waren erstaunt, als wir mit Leuten vom Umweltministerium redeten; da gab es keine Daten. Es gibt keine offizielle Stelle in Deutschland, an der die Daten zusammenlaufen, um die bundesweit erfassten Mengen zu bestimmen. Laut einer schon etwas älteren Studie der RWTH-Aachen sind es etwa eine Millionen Tonnen pro Jahr in Deutschland. Überschlage ich das Kontingent der mir bekannten inländischen Sortierer, komme ich auf eher weniger als tausend Tonnen pro Tag. Rechne ich das aufs Jahr hoch, deckt das etwa ein Fünftel der vermutlich erfassten Menge von einer Million ab. Der Rest landet direkt im Ausland. Zumindest was Drittländer betrifft, kann niemand genau sagen, was damit passiert.

Wie viel wird bei Ihnen sortiert?

Als wir anfingen, waren es etwa eineinhalb bis zwei Tonnen pro Tag. Heute sind es bei voller Auslastung 80 bis 90 Tonnen. Das ist seit vielen Jahren so.

Dann läuft es wirtschaftlich gut?

An sich ist Wachstum gut. Bei uns sieht das anders aus. Die Ware hat sich verändert. Kleidung ist heute Wegwerfware, zumindest die Fast-Fashion. Ich kann diesen Begriff schon gar nicht mehr hören. Sie ist abgenutzter als früher, obwohl sie viel weniger getragen wird. Sie müssen sich nur mal ansehen, wie oft die bekannten Textilketten ihre Kollektionen wechseln, da hängt jede Woche etwas Neues im Schaufenster. Hinter 2,99 Euro steckt keine Qualität. Man findet dort Stoffe, die so zusammengesetzt sind, dass man sie kaum identifizieren kann. Wir kaufen den Inhalt der Container zum Kilopreis. Darin stecken jedes Mal acht bis zwölf Prozent Müll, für den ich beim Einkauf und auch bei der thermischen Verwertung, also der Verbrennung, bezahle. Ich zahle somit zweimal für etwas, das ich nicht nutzen kann. Dazu kommen Kosten für die Mitarbeiter, die das sortieren.

Mit etwa 80 Prozent des Containers können Sie also Gewinn machen?

Diese 80 Prozent verteilen sich noch einmal. Das ist zum einen tragbare, saubere und modische Kleidung. Klar darf da mal ein Knopf fehlen, aber im Grunde ist die einwandfrei. Diesen Teil verkaufen wir vorzugsweise Händlern aus Osteuropa oder Russland. Auch deutsche Shops nehmen uns das ab. Eine Stufe darunter kommt Ware für den afrikanischen Markt. Dort ist die Kaufkraft nicht so hoch, und die Ansprüche sind niedriger. Diese Ware ist weniger modisch, aber in einem guten Zustand. Hauptsächlich ist das Sommerware. Die nächste Qualitätsstufe, wir sprechen immer noch von tragfähiger Bekleidung, also von Wiederverwendung, findet ihre Abnehmer hauptsächlich in Ländern mit geringer Kaufkraft. Drehscheibe hierfür ist seit vielen Jahren Pakistan. Die Wa­ren entsprechen zwar in etwa zwanzig Prozent unserer sortierten Menge, stellen aber nur circa drei Prozent unseres Umsatzes dar.

Und der Rest?

Schlussendlich sortieren wir Putzlappen und verschiedene Artikel zur Herstellung von Dämmmaterialien. Die Nachfrage ist groß. Auch Bettfedern sind gesucht, und das merkt man. Sobald die Nachfrage steigt, ist der Anteil in der Rohware ganz unten und umgekehrt. Solche Container sind Abfallsammelstellen. Auch Kuscheltiere und Spielzeug landen bei uns. Die thermische Verwertung ist die letzte Station, und die wollen wir vermeiden, so gut es geht. Sie kostet Geld und macht keinen Sinn. Letztendlich will ich ja nicht, dass gute Sachen verbrannt werden.

Sie sagten zu Beginn, im Container landet alles, was durch die Luke passt. Was noch?

So ein Container ist eine Wundertüte. Wir haben teilweise schon tote Haustiere, Waffen und Munition gefunden, eine Maschinenpistole, Showwaffen. Das passiert drei- bis viermal pro Jahr, und die Polizei holt das sofort bei uns ab. Wir erhalten Anrufe von Personen, die aus Versehen Pässe, Geldbörsen, Schmuck oder Bargeld weggeworfen haben, zum Beispiel aus Haushaltsauflösungen oder weil sie sie einfach vergessen hatten. Für eine verzweifelte Frau stellten wir mal das komplette Lager auf den Kopf, weil sie das Erbe der Kinder, ein paar Tausend Euro, in Schuhen versteckt hatte. Das Geld fanden wir tatsächlich wieder.

Um die Branche transparenter zu machen und der sinnlosen Verwertung entgegenzuwirken, haben Sie mit anderen Textilverwertern die „Gemeinschaft für textile Zukunft“ gegründet. Was muss man sich darunter vorstellen?

Wir möchten, dass Textilien nachhaltiger genutzt werden. Das geht nur, wenn die Ware genau erfasst, perfekt sortiert und am besten alles wiederverwertet wird. Dafür müssten alle, die in der Kette be­teiligt sind, die gleichen Anforderungen haben. Es sollte nachvollziehbar sein, was mit der Ware passiert, sobald sie im Container landet. Dafür müssen illegale Sammler strenger verfolgt und seriöse besser gefördert werden. Wir als Textilverwerter sind dafür da, den weltweiten Bedarf an Secondhand-Kleidung zu decken und Leuten, die sich keine neue Kleidung leisten können, eine Alternative zu bieten. Die beste Lösung ist natürlich, Kleidung so lange zu tragen, bis sie auseinanderfällt. Im besten Fall kann ich sie sogar dann noch verwenden. Es muss in die Köpfe von Käufern, Unternehmen und der Politik, dass nur ein Kreislauf Bestand haben wird. Am Ende muss gesetzlich geregelt werden, dass ein Kleidungsstück so zusammengesetzt ist, dass es bestmöglich wiederverwendbar ist. Im Moment geht das noch nicht oder noch nicht ausreichend. Unsere Aufgabe ist es, diese Ansätze mit allen Beteiligten aus dem Handel und den Verbänden zu besprechen und Lösungen zu finden.

Welche Lösungen wären das?

Die wichtigste Frage ist, wie die künftige Zusammensetzung der Rohware das Geschäft der Sortierer beeinflussen wird. Da am Ende alles bei uns landen soll, zum Beispiel Teppichböden aus Sanierungen ebenso wie kontaminierte und verdreckte Kleidung aus der Industrie, ist davon auszugehen, dass die Qualität und mit ihr der Anteil an wiederverwendbarer Kleidung sinken wird. Das wird sich wirtschaftlich aber kaum darstellen lassen. Wir halten deshalb eine erweiterte Produzentenverantwortung für unerlässlich.

Das bedeutet?

Wir sind durchaus in der Lage, dieses Abfallaufkommen zu bewältigen, um den Lebenszyklus von Alttextilien entscheidend zu verlängern. Aber der Müllanteil zur Verbrennung wird noch weiter steigen, und dann werden wir Hilfe in Form von Zuzahlungen von Importeuren und Herstellern von Textilien benötigen. Und es muss klar sein, was mit der Ware über unsere Grenzen hinaus passiert. Viele haben die Berichterstattungen über die textilen Müllberge in Südamerika, Chile oder Ghana gesehen. Auch wir schicken Waren dorthin. Allerdings erst nach sorgfältiger Sortierung und ausschließlich zur direkten Wiederverwendung. Diese Waren gelangen auf die dafür vorgesehen Märkte und nicht auf illegale Deponien.

Woran erkenne ich, dass der Betreiber eines Containers seriös ist?

Bei den karitativen Sammlern wie zum Beispiel den Maltesern oder dem DRK kann man sich sehr sicher sein. Andere Kriterien sind: Wie sieht es mit Kontaktdaten aus? Einer Mailadresse? Telefonnummer? Und bekommt man jemanden zu sprechen, wenn man mal anruft?