Wo das Neue beginnt
Wirtschaft anders denken
Alle reden vom Klimawandel, denn durch sein wirtschaftliches Handeln ruiniert der Mensch den Planeten. Also suchen wir nach einer anderen Art des Wirtschaftens.
von Jochen Ketels
„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“
―Mahatma Gandhi
Viel hängt davon ab, wie wir über uns als wirtschaftende Menschen denken. Während der letzten 200 Jahre stand der Gedanke im Vordergrund, dass es gut und richtig sei, im Wirtschaftsleben an den eigenen Vorteil, den Profit, die Effizienz der Produktion und das Vermehren von Waren und Gütern zu denken. Der geistige Vater des Kapitalismus, Adam Smith, wurde so verstanden, dass es einen Mechanismus geben würde, der automatisch das Wohl der Gemeinschaft bewirken würde, wenn jeder nach seinem persönlichen Vorteil strebte (die „unsichtbare Hand des Marktes“).
Der Mensch wurde als „homo oeconomicus“ gedacht, als ein Wirtschaftsmensch, der seinen Verstand vor allem dazu gebraucht, nach dem eigenen wirtschaftlichen Gewinn zu suchen. Nachdem der Kapitalismus einen großen Teil der Menschheit aus Armut und Abhängigkeit von den Naturkräften befreit und zu materiellem Wohlstand geführt hat, und nunmehr durch Wachstumszwang und Überproduktion die Gefahr der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zur neuen Herausforderung geworden ist, können wir heute erkennen, dass dieses Bild vom Menschen einseitig ist und in seiner Absolutheit nicht stimmt. Wir haben auch ein Bedürfnis nach Werten wie Gemeinwohl, gegenseitiger Hilfe, Anerkennung, Wertschätzung und Teilen, ja wir können die ökologische Krise nur durch Zusammenarbeit mit der Natur und den Mitmenschen bewältigen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Karl Polanyi hat bereits 1944 erkannt, „was noch heute gilt: Da Märkte nicht ohne Waren und Preise funktionieren, wird allmählich ein immer größerer Teil unserer sozialen Wirklichkeit zum handelbaren Gut. Eine Absurdität, die uns vielleicht nur deshalb kaum noch auffällt, weil sie allzu normal geworden ist. So verständnislos, wie wir heute auf die Sklavenmärkte des 18. Jahrhunderts zurückblicken, werden unsere Nachfahren unter Umständen einmal auf unser Treiben von heute schauen: Auf alles, was uns umgibt, kleben wir ein Preisschild. Wir handeln nicht nur mit Rohstoffen und den daraus erzeugten Gütern, mit Tieren, Immobilien, Finanzprodukten, Wetten auf Schwankungen an den Aktienmärkten und Versicherungen für und gegen alles und jedes – wir handeln auch mit einem Recht, das wir selbst erfunden haben: dem Recht, unseren Planeten, die Atmosphäre und unsere Mitmenschen zu verpesten.“
Heute können wir daran gehen, die Kräfte des freien Marktes, des Privateigentums und des Kapitals wieder einzubetten in höhere Werte, in eine Vision von fairer Teilhabe an den Gütern der Erde für alle Menschen als ein Lebensrecht. Jeder Wochenmarkt hat eine Marktordnung und unterliegt einer Aufsicht. Es ist möglich, das freie Spiel der Marktkräfte durch einen Ordnungsrahmen so zu steuern, dass unseren menschlichen Werten von Fairness und Mitverantwortung sowie unserem Bedürfnis nach einem menschen- und naturgemäßen Umgang mit den Gütern der Erde entsprochen wird.
Eine Wirtschaftsordnung ist denkbar, die das Solidaritätsprinzip und den Wert der Gerechtigkeit mit der freien Entfaltung des Menschen unter Wahrung der planetaren Grenzen verbindet: Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit können und müssen in Zukunft gemeinsam zu ihrem Recht kommen. Konkrete Anfänge auf dem Weg dahin werden bereits vielfach unter den Stichworten „Gemeinwohlökonomie“, „Solidarwirtschaft“, „Verantwortungseigentum“ usw. praktisch beschritten und in der Wirtschaftswissenschaft unter dem Stichwort „plurale Ökonomie“ diskutiert.
Luisa Neubauer von Fridays for Future sagt es so: „Die Klimakrise werden wir nicht mit dem Markt und neuen Technologien allein in den Griff bekommen.“ Sie fährt fort: „Das Idealbild des Marktes macht es den Vertreter:innen des sogenannten Marktfundamentalismus leicht, die Theorie des sich selbst regulierenden Systems von Angebot und Nachfrage auch im politischen Diskurs zu etablieren. Wir sprechen hier von Marktfundamentalismus, weil das der Fluchtpunkt eines jeden Vorschlags aus dieser Richtung ist: Je mehr Markt, desto besser. Vor allem in der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik, aber eben auch in der Klimapolitik genießt der Markt ein meist unhinterfragtes Ansehen als sprudelnde Quelle meist effizienter und wirtschaftsverträglicher Politikansätze: Fundamentalismus at its best.“