Die Klimakrise verstehen

Transformation und Bewusstseinswandel

Die Bewältigung der Klimakrise fordert einen Bewusstseinswandel, genauer: den Entwicklungsschritt hin zu einem „integralen“ Bewusstsein, der hier ansatzweise beschrieben wird.

Info3-Verlag / von Stefan Ruf

Wir leben nicht in normalen Zeiten. Wir leben in einer „Epoche der großen Transformation“. Das sagen keine esoterischen Spinner, das sagt der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung. Wir leben in einer Zeit, in der eine „neue Aufklärung“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker) stattfinden müsste, in einer Epoche, die so etwas wie der „Flaschenhals“ zwischen zwei Epochen ist und in der „radikal das Neue das Normale“ sein müsste, was das Ausmaß der Veränderung angeht (so Bernd Ulrich in Die Zeit). Es hat sich in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein (bereits) etwas verändert.

Die große Transformation spielt sich in diesen drei Bereichen ab. Der erste ist der Bereich der Natur: hier treten momentan in einer beängstigenden Geschwindigkeit Veränderungen im globalen Maßstab auf, wie es sie selten in der Geschichte der Erde gab. Einmalig ist, dass diese Veränderungen zu einem großen Teil menschengemacht sind: die Erde verändert ihr Antlitz also, es wird menschlicher. Unsere Hinterlassenschaften finden sich überall, von der Atmosphäre bis zum Meeresgrund, von den Wüsten bis zu den Polen. Besonders drastisch und potenziell irreversibel sind diese Veränderungen im Klimabereich.

Der zweite ist der gesellschaftliche Bereich. Um die dramatischen Veränderungen, die in der Natur gerade geschehen, kleinstmöglich zu halten, müsste sich in unserer Kultur – unserer Wirtschaftsweise, unserem Lebensstil, unserer Ethik, unserer Ästhetik – Grundlegendes verändern. Vielleicht könnte man es so ausdrücken: Je kleiner die Transformation in der Natur bleiben soll, (und sie sollte möglichst minimal sein!), desto größer müsste die Transformation in der Gesellschaft aussehen.

Die dritte Ebene der großen Transformation ist das menschliche Bewusstsein. Um aber die zweite Ebene wirkungsvoll, nachhaltig und demokratisch zu gestalten, ist diese dritte Ebene aus meiner Sicht essenziell. Wenn wir nicht verstehen, was uns (in uns selbst) hindert, angemessen zu handeln, und wenn wir das Potential (in uns) nicht erkennen, das uns hilft, angemessen zu handeln, werden wir wahrscheinlich nicht in der Lage sein, rechtzeitig zu handeln – was für viele nicht-menschliche Wesen furchtbare Konsequenzen hätte. Und auch für viele menschliche; nicht nur in von uns weit entfernten Weltgegenden, sondern auch für uns und unsere Kinder – ökologisch und gesellschaftlich (S.7-10).

Die gute Nachricht ist: wir verfügen über das Potential, um zu einem angemessenen Tun zu kommen. „Angemessen“ meint ein Handeln, das durchaus verzichtet, aber nicht als Verzicht erlebt wird. Dass eine große gesellschaftliche Transformation nämlich ohne Verzicht gelingen soll, dass also acht Milliarden Menschen weiter voll auf Wachstum und Konsum setzen – diesmal aber ganzheitlich irgendwie solar – erscheint als Lösung der globalen Natur-Krise genauso unrealistisch wie das andere Extrem: dass acht Milliarden Menschen (vor allem die mit einem westlichen Lebensstil) aus Einsicht freiwillig dauernd Verzicht leben, mit Büßermiene und zusammengebissenen Zähnen. Wenn wir also eine Chance haben wollen auf eine wirkliche gesellschaftliche Transformation, dann müssen möglichst viele Menschen eine innere Transformation durchmachen, die man zu Recht Bewusstseinswandel nennen kann (S.7-10).

Schritte zum Potential des Menschen

Wir müssen unsere Wahrnehmungsfähigkeit für unsere Mitwelt und ihre Grenzen noch deutlich steigern. Dazu müssen wir ein Sensorium entwickeln, das uns begegnungsfähiger macht: mit uns, mit unserer lokalen Mitwelt und – vermutlich wird das die größte Herausforderung: mit unserer globalen Mitwelt, denn viele unserer Probleme sind lokal nicht zu lösen. Begegnung bedeutet: den Anderen und das Andere spüren und fühlen, nicht nur denken.

Aber in jedem Fall ist diese Entwicklung der Beziehungsfähigkeit etwas, das man in sich ausbilden muss – sie entsteht nicht von alleine. Dieser innere Prozess würde auf ein verändertes Erleben der inneren und äußeren Welt herauslaufen: mit einem anderen Raum- und Grenzerleben (S.12-13)

Die Weiterentwicklung des Bewusstseins

Die nächste Bewusstseinsstufe handelt davon, dass plötzlich eine Dimension eindringt in unser inneres und äußerliches Erleben, die jenseits des Denkens ist. Eine Dimension, die das Denken transformiert und gleichzeitig integriert. Die es also einerseits verändert und andererseits nutzt. Keinesfalls hört man also auf zu denken oder wird unscharf, unpräzise oder diffus – im Gegenteil. So ähnlich galt das auch zu Beginn der „mentalen“ Zeit für das Fühlen: das Entwickeln eines gesunden mentalen Bewusstseins bedeutete keineswegs, dass man aufhören musste zu fühlen. Man konnte seit Beginn der mentalen Zeit viel besser reflektieren, warum man etwas fühlt und inwiefern es gut war, dem Gefühl zu folgen oder nicht. Vergleichbar hat man mit dem integralen Bewusstsein eine innere Instanz mehr zur Verfügung, die Ebene des Geistes, die über dem rationalen, logischen Denken steht.

Ein Teil dieser Instanz ist das achtsame Bewusstsein. Mit diesem achtsamen Bewusstsein hat man nun die Möglichkeit, nicht nur klarer wahrzunehmen, was man fühlt, sondern auch, was man denkt – und wie unterschiedlich eigene Gedankengänge zu ein und derselbe Sache oftmals sind. Man nimmt also verschiedene Perspektiven in sich selber wahr; und oftmals wirken diese unterschiedlichen Perspektiven wie unterschiedliche Seiten des eigenen Selbst („wer bin ich und wenn ja wie viele“).

Ein vertieftes Bewusstsein hat durchaus einen Kompass. Aber dieser funktioniert anders als durch dualistisches, logisches Ausschließen im Sinne von: „Entweder ist die Sache so oder so…“ Es ist eine Haltung, die erst einmal annehmen und akzeptieren kann und dann integriert, ohne notwendigerweise aufheben zu müssen. So kommt es nach und nach zu einem Raum, der Unterschiede weder verleugnet oder aufhebt, aber auch nicht vergrößert und daraus duale Trennungen macht wie: Ja/Nein, Entweder/Oder, Materie/Geist, Körper/Seele oder Gefühl/Gedanke. Wieder werden scheinbar starre Grenzen aufgehoben und damit ist die Möglichkeit gegeben, Dinge „zusammenwachsen zu lassen, die (scheinbar nicht) zusammengehören“ – das wäre eine Definition des Integralen Potentials, sehr frei nach Willy Brandt.

Versuchen wir, einige weitere Charakteristika des integralen Bewusstseins anzudeuten. Man nimmt vielfältige Perspektiven in sich wahr. Und kann sie erst einmal stehen lassen, um sie besser zu verstehen. Dasselbe ist auch im Äußeren, im Umgang mit den Perspektiven anderer Menschen, anderer Nationen, anderer Kulturen möglich und notwendig. Alles andere würde auf eine Globalisierung hinauslaufen, welche die Welt mit westlichem Wirtschaftsdenken kolonisiert.

Kompass in dieser schwierigen Zeit, in welcher der alte Boden des rationalen westlichen Denkens nicht mehr trägt, muss also der mehr und mehr „durchscheinende“ Geist werden, der Orientierung geben kann jenseits dualistischer, rationaler, abspaltender Prinzipien (S.207-2010)

Stefan Ruf: Klimapsychologie. Atmosphärisches Bewusstsein als Weg aus der Klimakrise. Info3 Verlag 2019. Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Zusammenstellung jk