Nutzen statt kaufen
Das Prinzip „Cradle to Cradle“
Der Ansatz der Kreislaufwirtschaft: nicht Weniger vom Falschen produzieren und konsumieren, sondern konsequent mit dem Richtigen wirtschaften. Die Idee wird bereits praktisch erprobt.
Michael Braungart im Gespräch
Michael Braungart: Das Cradle to cradle-Prinzip „von der Wiege zur Wiege“ bedeutet, dass Produkte auch nützlich sind, nicht nur weniger schädlich. Sie werden so hergestellt, dass alle Materialien endlos weiterverwendet werden können. So entsteht ein geschlossenes Kreislaufsystem, Müll oder andere Abfälle gibt es nicht.
Wenn wir darüber reden, was man gegen den Klimawandel tun kann, kommt immer das Weniger-Prinzip: weniger CO2, weniger Konsum, weniger Verkehr, weniger Fußabdruck. Doch es geht auch ganz anders. Wir kommen nicht weiter, wenn wir einfach nur weniger von dem Falschen tun, wenn wir das Falsche produzieren. Wir müssen einfach anders denken, wir müssen entschieden umdenken. Die Leute meinen, sie schützen die Umwelt, wenn sie weniger zerstören: ich kann nur dann klimaneutral sein, wenn ich nicht existiere. Aber will ich nicht gut fürs Klima sein? Will ich wirklich dümmer als die Bäume sein? Ein Baum ist nicht klimaneutral, er ist gut fürs Klima.
Frage: Sie arbeiten für Weltkonzerne, Sie haben Produkte, die auch von Weltkonzernen vertrieben werden, zum Beispiel der Turnschuh. Was ist an diesem Turnschuh anders, wie entspricht der Ihrem Prinzip?
Wir geben ja pro Jahr über Schuhabrieb etwa 109g pro Person an Mikroplastik in die Umwelt. Dieses Mikroplastik ist verheerend, es wandert durch unseren Körper, und wir nehmen in der Woche an Mikroplastik fast so viel auf wie eine Kreditkarte wiegt. Das heißt, wir müssen dieses Mikroplastik so machen, dass es nicht weniger schädlich ist, sondern dass ich Plastik habe, das wirklich in die Biosphäre gehen kann, das nützlich ist, nicht weniger schädlich. Alle anderen Tiere sind doch auch nützlich, wir sind die Einzigen, die Abfall machen. Wenn wir nur weniger Abfall machen, haben noch gar nichts damit erreicht. Was geschieht denn mit dem Abrieb? Der kommt in die Gewässer.
Autoreifen halten heute doppelt so lange im Vergleich zu vor 30 Jahren. Man denkt, es sei gut für die Umwelt, wenn man weniger Autoreifen braucht. Es sind 470 Chemikalien da drin, erst blieb der Staub auf der Straße, jetzt wird er eingeatmet oder er gelangt in die Gewässer. Im Rhein ist über die Hälfte des Mikroplastik Reifenabrieb, man hat wieder das Falsche perfekt gemacht, und damit eben perfekt falsch.
Hier sind z.B. essbare Möbelbezugstoffe. Wenn man normalerweise ein Sofa herstellt, dann sind die Möbelbezugstoffe so giftig, dass sie als Sondermüll verbrannt werden müssen. Ich brauche dafür aber keine Kläranlage mehr. Die Leute denken, sie würden die Umwelt schützen, wenn sie eine Kläranlage bauen, aber es ist eigentlich der Schutz, wenn ich keine Kläranlage brauche.
Für dieses T-Shirt stellt ein Tübinger Unternehmen (Trigema) die Druckfarbe her, die biologisch abbaubar ist, das T-Shirt kann in Bangladesh gefertigt werden, das ganze Produkt aus Biobaumwolle ist perfekt kompostierbar, das Abwasser kann direkt zur Bewässerung in die Landwirtschaft gehen.
Die Dinge, die kaputt gehen, Verschleißprodukte, Schuhsohlen, Bremsbeläge, Autoreifen, werden in Zukunft so gemacht, dass sie in biologische Kreisläufe gehen. Dinge, die nur genutzt werden, müssen in technische Kreisläufe gehen.
Nutzen statt kaufen
Wenn man festlegen würde, dass niemand Solaranlagen kaufen darf, das wäre viel interessanter. Warum brauche ich eine Solaranlage? Ich brauche doch nur den Strom daraus, d.h. wenn ich nur die Nutzung kaufen würde, dann könnte der Hersteller das beste Zeug einsetzen, nicht den billigsten Dreck. Vorläufig machen wir High-Tech-Entsorgung für chinesischen Sondermüll und sagen: oh, der Standort ist zu teuer.
Frage: Was ist besser daran, wenn wir keine Waschmaschine mehr kaufen, sondern wenn wir sagen, wir kaufen 3 000 Waschungen?
Ich brauche doch keine Waschmaschine, das sind 150 billige stinkige Kunststoffe drin. Es wäre doch viel besser, wenn ich nur 3000 mal Waschen verkaufe, dann gäbe es auch keine Sollbruchstellen, damit nach der Garantie das Zeug möglichst kaputt geht. Es wäre dann so, dass man nur eben 3000 mal Waschen kauft, dann kann der Hersteller statt 150 Kunststoffen eben drei Kunststoffe einsetzen und die wirklich wieder zurückgewinnen. Am Ende der Nutzungszeit teilt die Maschine selbst dem Hersteller mit, dass der Zähler abgelaufen ist: „Hol die Waschmaschine zurück, es ist deine Maschine.“ Ich kann nur für das zuständig sein, was ich auch kompostieren oder in meinem Ofen verbrennen kann. Alles andere muss zum Hersteller zurück. Im Moment ist der Gewinn privatisiert und das Risiko trägt immer die Allgemeinheit, das ist ein seltsamer Sozialismus. Wer das Risiko trägt und den Gewinn hat müsste doch in einer einzigen Institution sein.
Cradle to Cradle gibt es seit 30 Jahren, inzwischen gibt es 11 000 Produkte. Wenn die Geschwindigkeit so bleibt, dann wird vor 2050 alles Cradle to cradle sein.
aus: „Hart aber Fair“ (ARD) vom 17.2.2020