Nachdenken über den Menschen

Rationaler Egoist?

Die Theorie der Wirtschaftswissenschaften vom rationalen Egoisten hält der modernen Forschung nicht stand.

von Manfred Spitzer / Hörbuch 2018

Es ist noch gar nicht so lange her, dass man in der Wirtschaftswissenschaft vor allem Mathematik trieb, und das am grünen Tisch. Erst vor ein paar Jahrzehnten kam man auf die Idee, das Verhalten der Menschen, das was sie wirklich tun, zu beobachten. Das wichtigste Beispiel ist der „homo oeconomicus“. Adam Smith, der berühmte Wirtschaftstheoretiker, formulierte schon vor 200 Jahren: Wenn nur der Bäcker die Brötchen backt und der Bierbrauer das Bier braut und jeder nur für sich einfach das Beste herausholt, dann wird schon für alle das Beste geschehen. Nach dem Motto: wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Und damit das gut funktioniert, gibt es noch die unsichtbare Hand des Marktes, die sozusagen für einen Ausgleich der Interessen sorgt. Alle Teilnehmer am Markt sind Egoisten, und sie verhalten sich rational, vernünftig. Diese Theorie gilt in weiten Teilen in der Wirtschaft bis heute: Menschen seien rationale Egoisten.

Bedürfnis nach Fairness

Menschen haben aber nicht nur ein Bedürfnis nach Geld, sie haben auch ein Bedürfnis nach Fairness. Fairness ist etwas anderes als Gleichheit. Fairness heißt, ich möchte fair behandelt werden, fair in Bezug auf das, was ich kann, was ich möchte. Fair bezieht sich vor allem darauf, dass wir in gleicher Weise davonkommen, dass nicht der eine protegiert und gestützt wird und der andere nicht. Fairness ist der Urgrund von Gerechtigkeit und Fairness hat mit Wirtschaft sehr viel zu tun. Um dem Phänomen der Fairness auf die Schliche zu kommen, kann man Experimente machen. Das bekannteste heißt „Ultimatumspiel“.

Ein Versuchsleiter bietet zwei Spielteilnehmern 10 Euro an. Spieler eins soll die Summe aufteilen und Spieler zwei hat die Wahl, die Aufteilung entweder anzunehmen oder abzulehnen. Lehnt er ab, bekommt keiner etwas. Menschen, die rational und egoistisch sind, würden die 10 Euro im Verhältnis 9,99€ : 0,01€ aufteilen, und der Spieler zwei hätte die Wahl zwischen der Ablehnung, dann hätte er gar nichts, oder der Annahme, dann hätte er eben mehr als nichts. Gleichwohl kommt bei diesem bekannten Laborexperiment aber heraus, dass sich die Menschen über alle Kulturen hinweg keineswegs so verhalten, weil sie instinktiv eine solche Aufteilung als unfair erleben. Der Blick auf den sozialen Zusammenhang bzw. das Bedürfnis nach Fairness ist stärker als der egoistische Blick auf den Geldbetrag, den man im Fall der Ablehnung riskiert. In der Tat teilt die größte Gruppe der Spieler den Betrag im Verhältnis 50:50 auf. (Näheres unter https://karrierebibel.de/ultimatumspiel/ )

Der Markt denkt nicht selber

Gott wird es schon richten, hat man früher gesagt, wenn man nicht mehr weiterwusste. Dieses Diktum wurde abgelöst durch: Der Markt wird es schon richten, und wenn man nicht mehr weiterwusste, gerade in den letzten Jahren, dann hat man einfach Staatsunternehmen privatisiert, denn am Markt ginge alles besser, der Markt wüsste Bescheid, der Markt lenke richtig usw. Die große Krise hat uns vor Augen geführt, dass dem nicht so ist.

Der Markt denkt nicht selber. Es sind wir Menschen, die denken, und wir sollten nicht aufhören, über uns nachzudenken, und dazu gehört auch darüber nachzudenken, wie wir wirtschaftlich miteinander umgehen. Man kann auch die Menschen beobachten, wie sie sind, und dabei findet man, dass die Menschen viel besser als ihr Ruf sind. Wir sind eben keine rationalen Egoisten.

Nebenbei bemerkt, rationale Egoisten gibt es durchaus, wie Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Anthropologie in Leipzig herausgefunden haben. Den homo oeconomicus gibt es, er heißt Schimpanse. Denn wenn Schimpansen das Ultimatumspiel spielen, dann denken sie wirklich nur an sich. Wir Menschen sind anders, wir haben komplizierte Bedürfnisse, und vor allem sind wir Gemeinschaftswesen. Der Blick ins Gehirn lehrt uns, dass die gleichen Zentren, die uns Glück bescheren, auch im engsten Zusammenhang mit Gemeinschaft stehen.

Wir sind neugierig, wir wollen mit anderen gemeinsam die Welt erkunden, und vor allem uns selbst. Das Geld kann dabei nutzen, es kann aber auch im Weg stehen, je nachdem was wir damit anstellen. Wir können Geld vernünftig investieren, in Erlebnisse, und vor allem in andere. Wir können Geld in der Gemeinschaft dazu verwenden, eine bessere Welt zu gestalten. Und wenn wir das nächste mal Geld in die Hand nehmen, um anderen Menschen Gutes zu tun, dann sollten wir nicht lange ans Geld denken, denn Geld kann einsam machen, vor allem wenn man lange daran denkt.

Manfred Spitzer: Geld im Kopf (Hörbuch, 2018); Textauszug jk