Klimaneutral leben
Gute Kompensationsanbieter wie The Compensators, Myclimate oder atmosfair helfen mit einem Schlag tonnenweise CO2 zu vermeiden. Dadurch wird der Aufbau von klimafreundlichen Infrastrukturen in Schwellenländern unterstützt. Das ist praktizierte persönliche Verantwortung für den Klimaschutz.
Michael Bilharz im Gespräch
Was bedeutet für Sie nachhaltiger Konsum?
Nachhaltiger Konsum heißt für mich: So leben, dass alle Menschen heute und in Zukunft auch so leben können, ohne dass das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen gerät. Das Ziel sind global verallgemeinerbare Konsummuster. Einzelne Maßnahmen wie Car-Sharing oder Bio-Lebensmittel sind Mittel, dieses Ziel zu erreichen.
Kann es überhaupt nachhaltigen Konsum geben, oder ist das ein Widerspruch an sich?
Natürlich kann es den geben. Viele Tiere «konsumieren» zum Beispiel Fleisch. Das schadet der Umwelt nicht, solange alles «in Maßen bleibt». Die Nutzung von Holz oder von Metallen ist immer ein Eingriff in die Natur. Aber es geht nicht darum, keinen Eingriff zuzulassen, sondern darum, dass diese Eingriffe die Natur nicht dauerhaft schädigen. Im «natürlichen» Fall wächst dort, wo ein Baum gefällt wurde, wieder ein neuer nach.
In Ihrem Buch «Key Points nachhaltigen Konsums» sprechen Sie davon, dass der Verbraucher zum «Klimahelden» werden muss, um den eigenen CO2-Ausstoss signifikant zu senken. Welche konkreten Maßnahmen muss so ein «Klimaheld» ergreifen?
In meinen Augen macht ein Klimaheld dreierlei: Erstens ist er politisch, das heißt er setzt sich für ökologischere Gesetze und Rahmenbedingungen ein, damit alle Menschen dazu gebracht werden, nachhaltig zu konsumieren. Dazu unterstützt er oder sie zum Beispiel Umweltverbände. Zweitens kompensiert er seinen kompletten CO2-Ausstoß von rund 7 Tonnen (Schweizer Durchschnitt). Das ist ein erster und einfacher, aber sehr wirkungsvoller Schritt. Ein Bekenntnis: Ja, ich will klimaneutral leben! Drittens setzt er sich auch in seinem Alltag für die Vermeidung von CO2 in der Größenordnung von Tonnen ein. Er investiert in erneuerbare Energien, wohnt im Minergie-Haus, macht Car-Sharing oder kauft Bio-Lebensmittel. In der Broschüre des deutschen Umweltbundesamtes «Klimaneutral leben» finden sich etliche Vorschläge hierzu.
Sie werden oft von Umweltschützern kritisiert, da Sie die Vermeidung von CO2 durch kleine Schritte im Alltag für eher unwichtig erachten. Wird das Ausschalten des Lichts oder das Abstellen des Standby denn unnötig, wenn man sich an Ihre «Key Points» hält?
Zum Überleben brauchen sie etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Da ist die Frage, welche Farben ihre Gardinen haben eher unwichtig. Das ist so. Trotzdem machen schöne Gardinen das Leben angenehmer. Deshalb werden sie sich darum kümmern, wenn Sie Zeit dafür haben. So ist das auch beim nachhaltigen Konsum. Wenn wir Zeit dafür haben, kümmern wir uns natürlich auch um die eher kleineren Dinge. Aber zuerst müssen wir die überlebensnotwendigen Dinge, die Big Points anpacken. Zum Beispiel den Ausstoß von Treibhausgasen um mehrere Tonnen pro Schweizer Bürger reduzieren. Da kann ich doch nicht über Maßnahmen reden, die wenige Kilogramm einsparen, wenn es gleichzeitig Maßnahmen gibt, die tonnenweise Treibhausgase einsparen können.
Sie raten dazu, die eigenen Emissionen komplett durch die Investition bei einem Anbieter für CO2-Kompensation auszugleichen. Kauft man sich damit nicht frei von der persönlichen Verantwortung für den Klimaschutz?
Es wäre ja schön, wenn alle, die nicht kompensieren, stattdessen an anderer Stelle ganz viel CO2 einsparen würden. Leider ist das nicht so. Das von Ihnen genannte Argument ist meistens eher das, was es anderen vorwirft: Eine Rechtfertigung, sich vor der persönlichen Verantwortung zu drücken. Kompensationsanbieter haben sehr unterschiedliche Qualität. Keine Frage. Aber bei guten Kompensationsanbietern wie The Compensators, Myclimate oder atmosfair helfen Sie durch Ihre Spende, mit einem Schlag tonnenweise CO2 zu vermeiden. Sie unterstützen den Aufbau von klimafreundlichen Infrastrukturen in Schwellenländern. Das ist praktizierte persönliche Verantwortung für den Klimaschutz. Und nebenbei: Das ist auch Konsumverzicht. Denn das Geld, das sie spenden, können sie nicht mehr ausgeben.
Herr Bilharz, bei Ihnen ist der Verbraucher die Schlüsselfigur für nachhaltigen Konsum. Experten wie der Klimaforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker behaupten hingegen, dass die Schaffung einer nachhaltigen Gesellschaft nur vom Staat ausgehen kann. Wie stehen Sie zu dieser Gegenthese?
Da verstehen sie mich falsch. Ich habe überhaupt keinen Widerspruch zu Ernst Ulrich von Weizsäcker. Natürlich sind das A und O für nachhaltigen Konsum entsprechende Rahmenbedingungen, die nachhaltigen Konsum für alle Menschen zur ersten Wahl machen. Wir reden über Ökosteuer, Abbau umweltschädlicher Subventionen, über Naturschutzprogramme etc. Die Frage ist nur: Wie kommen wir zu diesen Rahmenbedingungen? Da bin ich der Überzeugung, dass dies nur funktioniert, wenn alle mit ihren Möglichkeiten mithelfen: Politiker wie Unternehmer, Mitarbeiter wie Konsumenten. So lange zum Beispiel Konsumenten nicht durch Car-Sharing, Bio-Lebensmittel oder Investitionen in erneuerbare Energien signalisieren, dass sie bereit sind, eine ökologischere Politik mitzutragen, werden sich auch die Politiker nicht in diese Richtung bewegen.
Sie arbeiten bei einer Bundesbehörde im Bereich Nachhaltiger Konsum. Inwieweit sollte sich der Staat überhaupt in die Steuerung der Konsumenten einmischen?
Der Staat muss sich dann einmischen, wenn der private Konsum negative Folgen für andere Menschen und für die Umwelt hat. Und das hat er. Viel zu viele. Muss ich das weiter ausführen?!
Sie haben den Gesamtenergieverbrauch von LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) und der normalen Bevölkerung verglichen und keinen Unterschied gefunden. Was ist der Grund dafür?
Der zentrale Grund liegt im Einkommen. Wer mehr verdient, konsumiert mehr und hat deshalb tendenziell einen höheren Energieverbrauch. Dies betrifft vor allem die aus Sicht der Nachhaltigkeit kritischen Bereichen Automobilität, Fernreise, Größe der Wohnfläche. Viele LOHAS unternehmen zwar viele Sparanstrengungen beim Energieverbrauch. Aber – weil man es sich leisten kann – ist die Wohnung halt doch etwas größer oder man macht mal wieder eine Fernreise nach Lateinamerika. Wusch, wieder über 4 Tonnen CO2 in die Luft geblasen.
LOHAS steht für Lebensstile oder Konsumententypen, die durch ihr Konsumverhalten und gezielte Produktauswahl Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern wollen. Häufig handelt es sich um Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen. (Quelle: wikipedia.org)
Wie kann eine Plattform wie nachhaltigleben.ch den Konsumenten bei der Umsetzung Ihrer «Key Points» unterstützen?
Das Wichtigste erscheint mir: Ihnen den Platz einräumen, der ihnen gebührt. Wer immer nur gesagt bekommt, dass er Stand-by ausschalten soll, der kommt nicht auf die Idee, dass es noch wichtigere Dinge zu erledigen gibt. Außerdem: Die konkrete Umsetzung der Key Points wirft viele Frage auf: Welche Bank ist denn wirklich ökologisch? Was muss ich beim Sanieren des Hauses beachten? Wie sicher ist ein Kleinwagen? Da kann eine Plattform wie Ihre viel Hilfestellung geben.
Sie selbst haben keinen Führerschein und unternehmen generell keine Flugreisen. Fällt Ihnen und Ihrer Familie der Verzicht auf Auto und Fernreisen manchmal schwer?
Diese Momente gibt es. Selten zwar, aber sie gibt es. Vor allem, wenn die reiselustigen KollegInnen mal wieder Urlaubsbilder von ihrer letzten Fernreise mit leuchtenden Augen präsentieren. Aber das ist eben wie mit vielen anderen Sehnsüchten: Nicht arbeiten zu müssen, keinen Streit mit den Mitmenschen, der Lottogewinn. Man kann nicht alles haben. Und damit lässt es sich sehr gut leben.
https://www.nachhaltigleben.ch/wohnen/nachhaltiger-konsum-michael-bilharz-im-interview-196