Viren und Menschen
Wie die Coronavirus-Pandemie mit der Zerstörung von Tier- und Pflanzenwelt zusammenhängt
In diesem Beitrag werden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen zusammengetragen, die die Folgen der Zerstörung der Lebensräume von Wildtieren für die Übertragung von Viren auf den Menschen beleuchten.
Deutsche Welle, 14. April 2020
Als das neuartige Coronavirus Ende Dezember 2019 in der chinesischen Großstadt Wuhan ausgebrochen war, dauerte es nicht lange, bis die erste Verschwörungstheorie aufkam: Das Virus sei in einem nahe gelegenen Labor entwickelt worden. Wissenschaftlicher Konsens ist hingegen: Bei dem Virus SARS-CoV-2 handelt es sich um eine Zoonose, also eine Krankheit, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurde. Höchstwahrscheinlich stammt das Virus von einer Fledermaus, die dann vermutlich ein anderes Säugetier infiziert hat, bevor es zum Menschen wanderte.
Auch wenn SARS-CoV-2 ganz bestimmt nicht in einem Labor entstanden ist, der Mensch spielt bei dieser Pandemie durchaus eine Rolle. Die Eingriffe in natürliche Lebensräume, der Rückgang der Artenvielfalt und die Störung von Ökosystemen machen es sehr viel wahrscheinlicher, dass solche Viren übergreifen. Das belegt eine umfassende, neue Studie von Wissenschaftlern aus Australien und den USA.
So haben die Ausbrüche von neu aufgetretenen Infektionskrankheiten stark zugenommen. Seit den 1980er Jahren hat sich die Zahl alle zehn Jahre mehr als verdreifacht. Mehr als zwei Drittel dieser Krankheiten gehen auf Tiere zurück. Und etwa 70 Prozent davon stammen von Wildtieren. Viele der uns bekannten Infektionskrankheiten – Ebola, HIV, Schweine- und Vogelgrippe – sind Zoonosen. Auch wenn SARS-CoV-2 ganz bestimmt nicht in einem Labor entstanden ist, der Mensch spielt bei dieser Pandemie durchaus eine Rolle.
SARS-CoV-2, und die von ihm verursachte Krankheit COVID-19, haben noch etwas anderes gezeigt: Durch die stark vernetzte Weltbevölkerung können solche modernen Krankheitsausbrüche schnell zu Pandemien werden. Viele Menschen waren schockiert, mit welcher Geschwindigkeit sich COVID-19 weltweit ausgebreitet hat. Dabei warnen Wissenschaftler schon seit Langem vor einer solchen Pandemie.
Durch die Störung von Ökosystemen haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Viren von Tieren auf menschliche Populationen übergreifen können, sagt Joachim Spangenberg, Ökologe und Vizepräsident der Forschungseinrichtung Sustainable Europe Research Institute. „Wir schaffen diese Situation, nicht die Tiere“, sagt Spangenberg gegenüber der DW.
Abholzung und Eingriffe in die Lebensräume
Die Menschen dringen immer weiter in die Reviere von wilden Tieren vor, holzen Wälder ab, um Vieh zu züchten, gehen jagen und versuchen, Ressourcen zu gewinnen. Dadurch sind sie zunehmend Krankheitserregern ausgesetzt, die diese Orte – und die von ihnen besiedelten Tierkörper – für gewöhnlich nie verlassen.
„Wir kommen wilden Tieren immer näher“, sagt Yan Xiang, Professor für Virologie am Health Science Center der Universität von Texas, „und das bringt uns mit diesen Viren in Kontakt.“
Nach dem Amazonas wird in Kanada am zweitschnellsten abgeholzt, um Teersande zu gewinnen. „Mit der Zunahme der menschlichen Bevölkerungsdichte und dem immer größeren Eingriff in natürliche Lebensräume, nicht nur durch den Menschen, sondern auch durch unsere Nutztiere, erhöhen wir das Infektionsrisiko“, sagt David Hayman, der an der Massey Universität in Neuseeland zu Infektionskrankheiten und deren Übertragungswegen forscht. Die Zerstörung des Ökosystems erhöht aber nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung. Sie hat auch Auswirkungen darauf, wie viele Viren es in der freien Natur gibt und wie sie sich verhalten.
Im vergangenen Jahrhundert wurde etwa die Hälfte der tropischen Regenwälder, in denen etwa zwei Drittel aller Lebewesen auf der Welt beheimatet sind, zerstört. Dieser schwerwiegende Verlust von Lebensraum hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem, auch auf die „Teile, die wir gerne vergessen – Infektionen“, sagt Hayman.
So haben Wissenschaftler beobachtet: Wenn Tiere am oberen Ende der Nahrungskette verschwinden, neigen Tiere am unteren Ende der Kette, wie Ratten und Mäuse, die mehr Krankheitserreger in sich tragen, in einigen Fällen dazu, diesen Raum einzunehmen. „Es geht nicht nur darum, wie viele Arten es in einem Ökosystem gibt“, sagt Alice Latinne von der Naturschutzorganisation Wildlife Conservation Society. „Es geht auch darum, welche Arten es sind.“
„Jede Art spielt eine andere Rolle in einem Ökosystem, und manchmal, wenn man nur eine Art durch eine andere ersetzt, kann dies enorme Auswirkungen auf das Krankheitsrisiko haben. Und manchmal können wir es nicht vorhersehen“, sagt sie der DW.
Zwischen August 2018 und Juli 2019 wurden fast 10.000 Quadratkilometer im Amazonasgebiet abgeholzt. Die Veränderung des Lebensraums kann wilde Tiere und ihre Krankheitserreger auch dazu zwingen, woanders hin auszuweichen – auch in von Menschen bewohnte Gebiete. Latinne beruft sich beispielsweise auf das Nipah-Virus, das in den späten 1990er Jahren in Malaysia aufgetreten ist. Damals hat die Abholzung dazu geführt, dass Flughunde ihren Lebensraum, den Wald, verlassen und sich in den Mangobäumen von Schweinezuchtbetrieben niedergelassen haben. Fledermäuse tragen oft Krankheitserreger in sich, die ihnen selber nicht schaden. Doch in diesem Fall steckten sie mit ihrem Kot und Speichel die Schweine an – und die infizierten dann die Bauern.
Es gibt also Belege dafür, dass die Störung von Ökosystemen im Zusammenhang steht mit dem erhöhten Risiko für neue Übertragungswege von Krankheiten. Das ist der Grund, so Spangenberg, weshalb Experten über die Wichtigkeit des Konzeptes „One Health“ sprechen: der Idee, dass alles miteinander verbunden ist – die Gesundheit von Tieren, das Ökosystem und der Mensch. Wenn eines davon aus dem Gleichgewicht gerät, dann folgen die anderen nach.
Der Handel mit Wildtieren
Sogenannte „Wet markets“, wo noch lebendige oder kurz vorher geschlachtete Tiere verkauft werden, sind ein weiterer Brutkasten für Infektionskrankheiten. Wissenschaftler glauben, dass SARS-CoV-2 mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem solchen Markt im chinesischen Wuhan aufgetaucht ist.
Das Zusammenpferchen kranker Tiere in Käfige sei in vielerlei Hinsicht die „perfekte Umgebung“, um neue Krankheitserreger auszubrüten, sagt Spangenberg, und „ein exzellenter Weg, Krankheiten von einer Spezies auf eine andere zu übertragen“. Deshalb sagen viele Wissenschaftler, darunter Spangenberg, dass die Welt zumindest strenge Vorschriften braucht, die die Märkte für lebende Tiere regulieren.
Das ist auch die Botschaft von Elizabeth Maruma Mrema, die ein weltweites Verbot von Wildtiermärkten fordert. Sie leitet bei den Vereinten Nationen das Sekretariat für die Biodiversitätskonvention und betont auch, dass Millionen von Menschen, insbesondere in einkommensschwachen Gegenden, auf die Nahrungsmittel und das Einkommen angewiesen sind, die ihnen diese Märkte verschaffen.
Das macht laut Hayman die Lösungen, die den Ausbruch von Krankheiten verhindern sollen, so schwierig. Die Ausbeutung von Tieren ist ein Teil davon, sagt er, aber: „Armut, der Zugang zu Arbeit, wie Menschen in entlegenen Gebieten behandelt werden, die Art und Weise, wie Menschen mit Lebensmitteln umgehen“, tragen ebenfalls zu den Umständen bei, die zu Übertragungseffekten führen.
Selbst auf wirtschaftlicher Ebene, glaubt Latinne, „werden wir gezwungen sein, etwas zu ändern – denn die Kosten für das Auftreten von Krankheiten und die Übertragung durch Wildtiere werden viel höher sein, als der wirtschaftliche Nutzen durch unsere Ausbeutung der Umwelt.“
„Wir sind Teil der Natur – wir sind Teil des Ökosystems, in dem unsere Gesundheit mit der Gesundheit der Wildtiere, der Gesundheit des Viehs und der Gesundheit der Umwelt verbunden ist“, sagt Latinne. „Wir müssen einen besseren Weg finden, um sicher miteinander zu leben.“