Untere Havel
Wo die Renaturierung schon begonnen hat
In der Biodiversitätsstrategie 2030 wird die ökologische Renaturierung für ein „wilderes Europa“ gefordert. Die Vision besteht darin, ramponierte Gebiete in Europa als Schauplätze für die Wiederherstellung intakter Natur auszuweisen. Es wird dabei gefordert, mindestens 20 Prozent der Agrarflächen aufzugeben und in funktionierende Ökosysteme zu verwandeln. Die Renaturierung der Havel stellt eines der größten Projekte seiner Art in Europa dar.
Jetzt geht es los: An der Unteren Havel werden in den kommenden Jahren auf 90 Kilometern Flusslänge 15 Altarme wieder zum Fließen gebracht. Dazu kommen der Rückbau von Deichen sowie die Beseitigung von 71 Deckwerken auf 29 Kilometern, Auwälder sollen neu entstehen und vieles mehr.
Einfach einen Zettel hinkleben, das wäre ein Traum: „Nächsten Dienstag in der Zeit zwischen 9 und 12 Uhr kommen wir vorbei, um Ihren Altarm anzuschließen. Bitte halten Sie sich zur Verfügung oder geben Sie den Schlüssel einem Nachbarn – Ihr NABU.“ Die Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter und es geht nicht ganz so schnell mit der Renaturierung eines fast 90 Kilometer langen Flussabschnitts. Es soll ja auch an der Unteren Havel nicht ein einzelner Altarm wieder zum Fließen gebracht werden, sondern gleich 15. Dazu kommen der Rückbau von Deichen sowie die Beseitigung von 71 Deckwerken mit einer Gesamtlänge von 29 Kilometern, Auwälder sollen neu entstehen und vieles mehr.
Weniger Tiefgang
1996 war es, da einigten sich der NABU und andere Umweltverbände mit dem Bundesverkehrsministerium auf die sogenannte Elbeerklärung. Darin stand ein wichtiger Satz zur Havel, die bekanntlich ein Nebenfluss der Elbe ist: „Die Untere Havel-Wasserstraße von Brandenburg bis zur Havelmündung soll aufgegeben werden.“ Das bedeutet, dass der Fluss weniger intensiv unterhalten wird, die Fahrrinne nicht mehr so tief und nicht mehr so breit ausgebaggert wird. Schiffe können hier trotzdem weiter fahren – Sportboote sowieso –, aber mit weniger Tiefgang und nicht mehr 80 Meter lange Güterschiffe, sondern flach gehende Fahrgast- und Hotelschiffe. Knapp die Hälfte der Flussbreite wird heute von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung unterhalten, große Sandbänke haben sich gebildet. „In den letzten zehn Jahren ist unter Wasser schon viel passiert“, freut sich NABU-Projektleiter Rocco Buchta.
Lange Überzeugungsarbeit
Noch viel mehr aber soll nun passieren. Für Buchta geht mit der Renaturierung ein Lebenstraum in Erfüllung. Bereits für die 2005 begonnene Planungsphase ließ sich der Leiter des Naturparks Westhavelland freistellen, nun hat er der Anstellung beim Land Brandenburg für mindestens weitere sechs Jahre adieu gesagt und zum 1. März das neue NABU-Projektbüro in Rathenow bezogen. Die schon halb gefüllten Aktenregale legen Zeugnis ab von den mühevollen Vorarbeiten. „Wir mussten ja erst einmal alle Beteiligten überzeugen, dass es gut und richtig ist, die Havel wieder zurückzubauen, mehr Dynamik in Fluss und Aue zu bringen.“
Die Überzeugungsarbeit ist gelungen, die Kommunen stimmten zu, die Kreistage und auch die Fachbehörden. In Sachen Renaturierung zieht die Region heute an einem Strang. „Wichtig war dabei sicher der Nachweis, dass sich dadurch die Hochwassersituation nicht verschärft, sondern sogar entspannt, denn das Wasser bekommt nun zusätzliche Fließwege“, so Rocco Buchta weiter. „Dabei bleibt die Havel weiter ein Kulturfluss, der genutzt und erlebt werden kann. Es geht um die Wiederherstellung wichtiger Funktionen des Ökosystems und nicht um die Restauration eines historischen Zustandes.“
Gute Ausgangsbasis
Doch warum soll die Untere Havel eigentlich renaturiert werden? Bei einer Tour entlang des Flusses keinem Seeadler zu begegnen, ist fast unmöglich. Ein Dutzend Paare suchen hier regelmäßig nach Nahrung. Immer wieder stehen Kraniche oder Schwarzstörche in den Uferwiesen, von Adebar gar nicht zu reden. Die Zahl der Wasser- und Watvögel ist Legion, Fischotter besiedeln den Fluss – wenn auch selten sichtbar – ebenso flächendeckend wie die Biber. „Eine gute Gewähr, dass wir hier nicht 21 Millionen Euro in den märkischen Flusssand setzen“, nennt Buchta diese üppige Naturausstattung.