Landwirtschaft in der Sackgasse

Das System Milch

„In den letzten Jahren passierte eine Kannibalisierung des Sektors, die fressen sich gegenseitig auf. Die stehen alle so sehr mit dem Rücken an der Wand. Sie werden auch getrieben, sie können gar nicht mehr zurück.“

Arte Doku 2017

Der Umgang mit der Milch hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal verändert.

Ein dänischer Milchbauer:

„Unsere Existenz hängt davon ab, dass wir den Liter Milch so günstig und in so guter Qualität wie möglich produzieren. Wir werden ja mit dem Preis gedrückt, deshalb müssen wir auch immer mehr Menge in immer höherer Qualität durchjagen, um die Kosten wieder reinzuholen, nur darum geht es. Als wir den Familienhof in 18. Generation übernommen haben, hatten wir 140 Kühe. Danach haben wir auf 300 Tiere verdoppelt, das war 2002. Da habe ich mir nicht vorstellen können, dass wir heute 750 Kühe haben. Es heißt ja, dass man Stress hat, wenn man nachts aufwacht und denkt, was am nächsten Tag zu tun ist. Ich habe viel Stress, es aber bisher nicht bemerkt.“

Familie Geiger  (1978: 35 Kühe, heute 250 Kühe):

„Du bist verpflichtet, deine ganze Milch an eine Molkerei abzuliefern. Erst im Nachhinein erfährst du dann, was du bekommst, und wenn sie den Preis senken, dann hast du Pech gehabt. Du hast da überhaupt keine Macht, keinen Einfluss. Früher hatten wir die Kühe auf der Weide, aber mit so einem Bestand wird das ja auch schwierig, so eine Anzahl auf die Weide zu bringen. Die Wiesen sind weiter weg, wo man jeden Tag die Kühe hinaustreiben und wieder reinholen müsste, und so ist die Weidehaltung ein Stück weit eingeschlafen. Als Familienbetrieb ist man irgendwann am Limit und man verdient nicht mehr viel, man arbeitet nur noch für die Konzerne, für die Kraftfutterindustrie und die Nahrungsmittelindustrie, und selber bleibt man auf der Strecke. Wir kriegen jetzt im Moment 27 Cent Grundpreis, zur kostendeckenden Milcherzeugung brauchen wir mindestens 40 Cent, eher mehr. Das ist es, was mich ärgert oder zum Überlegen bringt, ob das ganze System so richtig ist.“

Ein Bio-Milchhof in Südtirol

„Auf jeden Fall ist es spürbar, welchen Umgang man mit den Tieren hat. Die Tiere sind den ganzen Sommer auf der Alm. Das Durchschnittsalter meiner Tiere ist in den letzten Jahren gestiegen, weil sie nicht so viel Milch produzieren müssen. Ich könnte den ganzen Tag hierbleiben, einer Kuh beim Weiden zuschauen, das ist Balsam. Die Arbeit als Landwirt ist einfach so vielfältig, das ist weit mehr als ein Arbeitsplatz, das ist ein Lebensmodell, so wie ich es interpretiere.

Für mich war klar, dass es eine ökologische Landwirtschaft sein soll, für mich ist das auch das ökonomischste. So war schnell klar, dass es keine weitere intensive Viehzucht geben wird. Wir haben dann gesagt, wir versuchen, die Milch selbst zu verarbeiten. Wir setzen auf die Qualitätsschiene, verarbeiten Rohmilch zu Käse, mit eigenen Rezepturen, so dass letztlich auch eine hohe Qualität rauskommt. Bei uns vereinen sich verschiedene Kompetenzen, die kommunikative, die organisatorische, die produktionstechnische, und bei der Direktvermarktung gibt es mittlerweile viele Vertriebsmöglichkeiten.“

Die Belastung des ökologischen Kreislaufs durch die moderne Milchwirtschaft

Professor Issenstein: „Man kann die Rinder zu 100% mit Gras ernähren, das sind so phantastische Tiere, insofern sie aus einem für uns minderwertigen Rohstoff, dem Gras, extrem hochwertige Milchproteine machen. Mit der Intensivierung der Milchproduktion hat sich gezeigt, dass von den Kühen höhere Leistungen erwartet wurden, und diese Leistungssteigerung ist irgendwann mit dem bisherigen Futter nicht mehr zu erzielen. Wir haben unter den gegenwärtigen Bedingungen etwa ein Drittel der Futterenergie, die aus Gras kommt, und zwei Drittel kommt vom Acker, und das kaufen sich die Landwirte in aller Regel ein, meist ist das Soja.“

„Das meiste Soja, das die Bauern einkaufen, stammt aus Südamerika, dort werden gigantische Flächen Regenwald gerodet, die für die europäische Milchproduktion genutzt werden. Schattenfutterfläche wird das genannt, ein schmeichelhafter Name für ein ökologisches Desaster. Auch den Hunger in der Welt werden wir nie beseitigen, wenn wir Soja oder Mais in Futtertröge kippen, anstatt damit Menschen zu ernähren. Und als sei das alles noch nicht genug: Kühe können nur ein Drittel der Futterenergie umsetzen. Wir betreiben eine gigantische Verschwendung, wenn wir Kühe zur Leistungssteigerung mit Getreide füttern.“

„Das Tier ist der Transformator für Nährstoffe, alles landet am Ende weitestgehend in der Gülle. Über den Einkauf von überseeischem Protein, und das besteht zu einem hohen Grad aus Stickstoff, bekommen wir große Mengen an Stickstoff ins Land. Doch diese Mengen werden nicht rücktransferiert in die Ursprungsländer, sondern müssen auf den eigenen Flächen ausgebracht werden. Auf diese Weise haben wir einen Import von Stickstoff, der ganz erheblich sein kann, und im Prinzip müssen unsere Flächen die eingekauften Stickstoffmengen verdauen, müssen damit klarkommen. Wenn das hohe Mengen Stickstoff sind, dann kann das Emissionsrisiken verursachen. Nitrat kann in den Boden ausgewaschen werden, Ammoniak entgast direkt bei der Ausbringung, und es entsteht aus dem Nitrat im Boden Lachgas, das in die Atmosphäre abgegeben werden kann und was extrem klimaschädlich ist.“

Nitrat im Grundwasser ist deshalb so gefährlich, weil es in unserem Körper zu Nitrit umgewandelt wird. Nitrit wiederum verhindert den Sauerstofftransport und steht im Verdacht, Krebs auszulösen. In jedem dritten Brunnen in Deutschland werden zu hohe Nitratwerte gemessen. Das System setzt die Bauern unter Druck, ruiniert unsere Umwelt und führt die Kuhzucht ad absurdum, und dennoch wird jedes Jahr mehr Milch produziert.

Ausstieg aus der konventionellen Milchproduktion

Der Vater: „Ich habe ihm den Hof übergeben mit der Idee, dass er so wirtschaften kann wie er will. Ich habe mich zurückgezogen, aber im Stillen die Faust geballt. Ich hatte züchterischen Erfolg, und die Leistung war dementsprechend hoch.“

Der Sohn: „Wir haben auf dem Hof eine kleine Käserei, wir könnten weit mehr verkaufen,  über einfache Techniken mehr produzieren und immer mehr Gewinn erzielen, aber ich habe eine grundlegend andere Rentabilitätsauffassung. Viel Milch, viel Umsatz, viel Kosten? Meine Idee ist: weniger Milch, weniger Umsatz, weniger Kosten. Es gibt Untersuchungen, dass die intensivsten und die extensivsten Modelle die wirtschaftlich erfolgreichsten sind. Insofern haben wir beide recht, aber weil ich die Umweltkosten miteinbeziehe, habe ich ein bisschen mehr recht. Die Kühe geben jetzt die Hälfte von dem, was wir mal produziert haben, aber sie geben gute Milch.“

Die Gülle wird zu hochwertigem Kompost verarbeitet. „Was mal Mist war, riecht jetzt wie Walderde. Ich dünge nicht die Pflanze, sondern ich dünge den Boden. In einer Handvoll Muttererde sind mehr Mikroben drin als wir Menschen auf der Erde sind. Und diese Mikroben füttere ich mit diesem Düngemittel, das ist der Paradigmenwechsel. Wir müssen vom Traktor runter und den Boden wieder in die Hand nehmen und verstehen, da liegt eigentlich das ganze Geheimnis einer erfolgreichen ökologischen Landwirtschaft.“

Die Entwicklung der Milchproduktion.

Brüssel ist der zentrale Schauplatz für die europäische Milchwirtschaft. 45 Milliarden Euro werden dort jedes Jahr für die europäische Landwirtschaft ausgegeben.

Martin Häusling ist Parlamentarier und selbst Bio-Milchbauer. „Milch ist ein wahnsinnig billiger Rohstoff, der in alles reingemischt wird, von der Süßwarenindustrie bis zu Ernährungszusätzen wird er überall verarbeitet. Die wollen billiges Material haben, und die wollen dafür sorgen, dass wir immer am Limit des Überschusses sind. Die Lebensmittelindustrie hat kein Interesse daran, dass wir weniger haben oder gerade so viel, dass wir den europäischen Markt versorgen, sondern da geht es immer weit drüber hinaus. Wir müssen Überschüsse haben, dann kann man nämlich die Produzenten unter Druck setzen, dann kann man damit drohen, wenn du es nicht schaffst, dann können wir woanders billiger einkaufen. Es geht nicht um die Interessen von 13 Millionen europäischen Bauern, die Zahlungsempfänger der EU sind, sondern um die Molkereien, die in erster Linie davon profitieren, dass wir das Zeug in billigen Massen überall hin in die Welt exportieren. Die Politik sagt: die großen Wachstumsmärkte in China, in Afrika, vielleicht im Nahen Osten, Südamerika, die müssen wir in Zukunft bedienen. Man wird getrieben von dem Gedanken: wir müssen die Welt ernähren.“

Es geht also nicht mehr um die Sicherung der europäischen Lebensmittelversorgung, wie es das erklärte Ziel und die Aufgabe der europäischen Agrarpolitik war. Die europäischen Bauern sollen nun für den Export in die Welt produzieren und, ganz nebenbei, den Agrarkonzernen Wachstum ermöglichen.

Der Protest

Seit 2008 protestieren viele Milchbauern regelmäßig gegen die Dumpingpreise und hoffen, damit Einfluss auf die Entscheidungen in Brüssel nehmen zu können. Familie Geiger: „Wir haben gestreikt und probiert, das Ruder rumzureißen, dass es wieder in die richtige Richtung geht, doch unser Bauernverband hat massiv dagegen gearbeitet mit allen Mitteln. Es wird seit Jahrzehnten zu viel Milch erzeugt, das hätte man steuern können, wenn man gewollt hätte. Aber man wollte ja nicht, es hatte immer alles schön billig sein müssen. Unsere Überschüsse machen uns kaputt. Nach dem Streik haben wir gewusst: es ist so gewollt. Es ist beabsichtigt, dass der Milchpreis nicht steigt, damit der Rohstoff billig ist für unsere Molkereien und den Handel.“

Milch für Afrika

  • Einschub: Der Konzern Arla-Foods  hat weltweit 19 000 Mitarbeiter, 20 Milliarden € Umsatz, Vertrieb in 150 Länder. Arla-Foods Deutschland: 1 500 Mitarbeiter, Belieferung durch 1 800 Landwirte, Standorte in Pronsfeld, Eifel mit 4 Millionen Liter Milch täglich sowie in Upahl in Nordwestmecklenburg.

Auch im Senegal wirbt Arla für seine Molkereiprodukte, in erster Linie Milchpulver aus den Überschüssen der EU-Produktion. Es ist billig zu haben, denn die EU unterstützt die Landwirtschaft finanziell und verursacht dadurch ein Preisdumping im Senegal.

Ein einheimischer Molkereibetreiber erzählt: „Die Milch, die wir im Senegal produzieren, ist in der Herstellung viel teurer, weil die Produktionskosten höher sind. Dagegen ist es viel einfacher, Milchpulver zu verarbeiten, damit verdient man mehr Geld. Wir aber wollen mit einheimischer Kuhmilch arbeiten, weil das viel nachhaltiger ist.“

„Wenn die EU sich entschließen würde, die 45 Milliarden Euro Subventionen aus dem System zu nehmen, könnte sie diese Exportstrategie nicht mehr weiterführen. Das heißt, der Steuerzahler liefert den Treibstoff für die billigen Exporte. Und man erzählt ihm dazu, dass dadurch ja die Lebensmittel schön billig sind. Die sind aber nicht für den europäischen Markt, die ruinieren jetzt gerade die Kleinbauern in Afrika.“

Ein senegalesischer Bauer: „Heute haben es die Viehhalter wirklich schwer, etwas zu verdienen, sie haben keinen Absatzmarkt für ihre Milch. In dieser ländlichen Gegend, wo jeder eigenes Vieh hält, gibt es keinen Markt.“  Milchwirtschaft hat immer auch eine soziale Komponente und kann nicht einfach nur dem freien Markt überlassen werden. Das Problem ist vor allem die Konkurrenz durch Milchpulver, diese Milch überschwemmt den Markt.

Kleinbäuerliche Strukturen

Ein Gespräch in Senegal: „Wenn ihr es schafft, eure Molkerei aufzubauen, dann bekämpft ihr damit die Unterernährung und die Kinder bekommen hochwertige Milch. Ihr bekämpft auch die Armut, denn die Züchter erhalten einen sicheren Arbeitsplatz und ein Einkommen. Ihr bekämpft auch dadurch noch ein anderes großes Übel unserer Zeit, die Landflucht. Die Söhne der Viehzüchter fliehen auf Booten auf der Suche nach einem besseren Leben. Dabei sterben sie in Libyen oder auf offener See.“

Weltbank und UNO haben 2008 das Wissen über die weltweite Landwirtschaft zusammengetragen. Dabei kam heraus: der entscheidende Faktor ist nicht die Steigerung der Produktivität, sondern die Verfügbarkeit von Lebensmitteln und ihrer Produktionsmittel vor Ort. Die besten Garanten für die Lebensmittelsicherheit sind kleinbäuerliche Strukturen.

Das Modell der konsequenten Bio-Landwirtschaft

Ein Bio-Bauer: „Wir haben die Landwirtschaft in eine Richtung geführt, die ganz klar in eine Sackgasse führt. Das hat damit zu tun, dass wir die Landwirtschaft ausschließlich den Ökonomen überlassen haben. Aber wir dürfen sie nicht den Rechnern überlassen. Die Landwirtschaft ist für uns ein Lebensort, deshalb müssen wir sie wieder mehr den Ökologen, Philosophen neben den Ökonomen überlassen. Wir müssen viel kleinere, vielfältigere Produktionseinheiten schaffen, weniger technisiert. Das klingt jetzt vielleicht wie von einer anderen Welt, aber mittlerweile sind wir dabei, uns Landwirte selber wegzurationalisieren. Die Landwirtschaft lebt auch von einer gewissen Emotion. Für mich ist das eine beseelte Landwirtschaft, für mich sind die Tiere wichtig, und das kann ich nur praktizieren, wenn ich eine gewisse Kleinheit habe.“

Geht die Bio-Landwirtschaft wirklich nur im kleinen Stil?  Das Beispiel eines großen Biohofs in Dänemark mit 1 600 Kühen.

„Wir sind fast zu 100% autark, und beinahe alle Kühe verbringen den ganzen Sommer im Freien. Wir mögen keinen Stress, und deshalb stressen wir auch nicht unsere Kühe. Wir füttern ihnen das, was wir selbst anbauen und nehmen die Milch, die sie produzieren. Ich glaube, damit sind alle glücklicher.“

Die Sackgasse

„Im Moment sind wir zu 100% verschuldet, das möchten wir gerne etwas reduzieren, wir schicken unseren Effizienzplan monatlich an die Bank, darin sind aufgeführt die gestorbenen Kühe, Milch pro Kuh und so was alles, das schicken wir immer als Bericht rüber. Wir sind aber nicht ganz so fest gebunden, ich habe auch Handlungsfreiheit, dann einzukaufen, wann es mir passt, trotzdem haben sie uns im Auge. Wir müssen einfach geschickter und cleverer sein als unsere Nachbarn. Wir sind mit allen im Krieg, das musst du in deinen Kopf reinbekommen, wenn du den Hof übernimmst. Es gibt kein Erbarmen, niemand verschont uns, manchmal musst du ein Arschloch sein.“

„In den letzten Jahren passierte eine Kannibalisierung des Sektors, die fressen sich gegenseitig auf, nehmen keine Rücksicht mehr. Man zieht rücksichtslos los, schon bei der Beerdigung wird über die Übernahme der freien Flächen verhandelt. Die stehen alle so sehr mit dem Rücken an der Wand. Sie werden auch getrieben, sie können gar nicht mehr zurück. 600 französische Milchbauern haben sich letztes Jahr das Leben genommen, die Bauern haben mittlerweile eine überproportionale Selbstmordrate.“