Themenbereich Ernährung und Landwirtschaft

30 Jahre „Ökodorf Brodowin“ – Erfolgreiche biologische Ost-West-Kooperation

Das „Ökodorf Brodowin“ – eigentlich ein Ökohof mit Wurzeln in einer LPG – ist in Brandenburg einer der größten Demeter-Betriebe Deutschlands. Anteil daran hat auch eine besondere Zusammenarbeit von Menschen aus West und Ost. Nun liegen die Probleme anderswo.

Neun Uhr morgens im brandenburgischen 500-Seelen-Ort Brodowin: Ein alter Zetor-Trecker tuckert über das Kopfsteinpflaster und ein silber-glänzendes Elektroauto schnurrt über die Dorfstraße. Am Ende des Ortes in der Uckermark, unweit des Klosters Chorin: auf beiden Seiten grüne Weiden, auf denen Kühe grasen. Das sind Flächen des Ökohofs Brodowin, einer der größten deutschen Demeterhöfe. Seit 30 Jahren heißt er „Ökodorf Brodowin“ – obwohl es eigentlich ein Ökohof ist.

Hof, Café und Lieferservice

„Der besteht, ganz grob gesagt, aus Landwirtschaft, Milchkühen, Milchziegen, Legehennen, Gemüseanbau. Und Ackerbau“, sagt Ludolf von Maltzan, der Chef des Hofs. „Dann unsere Molkerei, in der wir die eigene Milch und die Milch von anderen Landwirten verarbeiten.“

Außerdem der Vertrieb mit den verschiedenen Verkaufsstätten wie dem Hofladen, dem Klostercafé oder dem Theater am Rand, aber auch aus dem Lieferservice für Biolebensmittel.

Es ist ein biologisch-dynamisches Komplettpaket, entstanden in den vergangenen 30 Jahren. Ludolf von Maltzan hat die zweite Hälfte mitgestaltet. 2005 kam der Landwirt hierher. Zuvor hatte er in Mecklenburg-Vorpommern einen Biobetrieb gemanagt.

In der Brodowiner Dorfstraße wohnt der Mann, der von Maltzan damals, als er das erste Mal in das Dorf kam, über den Hof führte. Peter Krentz sitzt auf der Terrasse, blickt Richtung Ökohof. Ein kräftiger Mann, graues Haar, große Hände, kariertes Hemd. Krentz lebt schon ewig hier, seine Frau ist alteingesessene Brodowinerin.

Die ersten 15 Jahre war er Geschäftsführer des Betriebes. Maltzan war ihm gleich sympathisch, erzählt er. Ganz anders als die Interessenten, die vorher auf den Hof kamen: „Natürlich sollte alles nichts kosten, was wir gemacht haben, hat alles keinen Wert gehabt. Und das hat uns natürlich alle, vor allem mich persönlich, der die ganzen Jahre Herzblut und unheimlich viel Energie reingegeben hat, unheimlich verletzt.“

Flächen her, Kühe weg: Das war der Plan vieler Interessenten. Und das schmerzte nicht nur Peter Krentz, sondern viele Brodowiner. Denn fast alle sind hier Teil der Geschichte. Zu DDR-Zeiten gab es die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) Tierzucht und Pflanzenbau, die mit viel Chemie versuchten, aus den kargen Böden das Maximum herauszuholen. Modelle, die nach der Wende in der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr funktionieren konnten.

Ökologischer Aufbruch in Brodowin

„Dann kam die Quotierung, Milchquote und so weiter.“ Die Viehbestände seien zusammengebrochen, erzählt Peter Krentz. „Das war dann schon ganz schön: von 600 Kühe, runter auf 300, alles halbiert, Schafe weg, Schweine weg, alles kein Wert.“ Das sei eine sehr harte Zeit gewesen. Mehr als zwei Drittel der Belegschaft mussten gehen, von 150 blieben 28.

Die Bauern bekamen ihr Land zurück, brachten es in eine Genossenschaft ein. Die 180 Mitglieder wählten schließlich Peter Krentz, den Agraringenieur, zum Geschäftsführer.

Für sie sei damals schon sehr früh klar gewesen, dass sie ökologisch wirtschaften wollten. Das Dorf sei sehr von ökologischem Input geprägt gewesen. Es gab den „Brodowiner Kirchensommer“ mit Musik, Vorträgen, Diskussionen, Kleinkunst. Und der Schriftsteller Reimar Gilsenbach brachte Wissenschaftler und ökologisch Interesse ins Dorf. Das gab Rückenwind für den ökologischen Aufbruch in Brodowin. Und für den Blick nach Westen.

Geld für Investitionen fehlte

„Dort haben wir drei Höfe besucht“, so Krentz. Alles Demeterhöfe, 50-Hektar-Betriebe, kleine Strukturen. „Natürlich eine unheimliche Direktvermarktung, viele Kinder, wir haben da zu essen gekriegt, wir wurden da beköstigt.“ Auch das ein oder andere Glas wurde geleert: biologisch-dynamisch-alkoholisch. Ein überzeugendes Gesamtprogramm:

„Zum Schluss sind wir mit dem Bus nach Haus gefahren, alle glücklich beseelt, und haben gesagt: Was die da machen, kann nicht verkehrt sein. Dann machen wir das auch und dann war das Demeter.“

Die Brodowiner Wende. Ideologiesicher setzte der Agraringenieur Krentz mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun die anthroposophischen Ideen um. Aber das Geld für größere Investitionen fehlte. Dann meldete sich ein Investor aus Berlin, der mit Immobilien reich geworden war. 

Die Upmeiers brachten Geld und neue Marketing-Ideen – die nahegelegene Hauptstadt fest im Blick. Die Brodowiner investierten. Bauten eine eigene Molkerei, lieferten nun auch Milch und Käse.

Als die Upmeiers aus Altersgründen verkauften, stieg Ludolf von Maltzahn ein. Er ist bisher weit herumgekommen. Geboren in Südafrika, Studium in Deutschland, Leitung von Biobetrieben in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Und jetzt Brodowin.

Bekenntnis zu den Tieren

„Wir hatten schon Mal 220 Milchkühe“, erklärt er. Aber unter anderem wegen der Trockenheit der vergangenen drei Jahre seien es jetzt nur noch 180. Durch die Trockenheit hätten sie nicht genug Futter gehabt. Und die Demeter-Richtlinien besagen: Weniger Futter heißt dann, weniger Kühe.

„Ich bin kein Anthroposoph“, so von Maltzan. Trotzdem hat den Landwirt die Agrar-Philosophie überzeugt. Das Wirtschaften in Kreisläufen, der Einsatz von Tieren als Nährstofflieferanten. Für Pflanze und Mensch.

Er habe gelernt, eine Betriebsstruktur anders zu betrachten. Und das klare Bekenntnis zu Tieren in der Landwirtschaft. „Und eben wenn man Tiere hält, die Verantwortung für die Tiere, aber eben auch das Bewusstsein, dass das Fleischessen dazugehört, wenn man Demeter-Landwirt ist.“

Mittlerweile arbeiten mehr als 200 Festangestellte auf dem Hof, erzählt Ludolf von Maltzan. Manchmal kann er es selbst kaum glauben. Aber sein Betrieb wächst weiter. Und mit ihm der ökologische Anbau in der Region.

Das „Ökodorf Brodowin“ hatte schon mal 220 Kühe, aber unter anderem wegen der Trockenheit der vergangenen Jahre sind es nun nur noch 180. (imago / Lars Reimann)

„Vor anderthalb Jahren hat eine benachbarte Genossenschaft uns angerufen und gefragt ob wir Interesse hätten. Alle sind ins Alter gekommen, und der Betrieb sollte in andere Hände übergeben werden.“ Mit Hilfe der Bioboden-Genossenschaft haben sie dann übernommen. Das Ziel der Genossenschaft ist es, im Agrarflächen-Monopoly möglichst viel Land für die ökologische Bewirtschaftung zu sichern. Damit vergrößern sich die Brodowiner Flächen noch einmal um ein Drittel auf jetzt mehr als 2500 Hektar.

Der ehemalige Geschäftsführer des Hofes, Peter Krentz, blick von seiner Terrasse Richtung Brodowin. Die Kollegen vom Agrarbetrieb trifft er oft, sagt er. Aber der 60-Jährige hält sich mit Ratschlägen zurück. Spätestens als ihn ein Rettungshubschrauber nach einem Herzinfarkt abtransportieren musste, wurde auch ihm klar, dass endgültig Feierabend ist. Und ein bisschen Ökohof geht nicht als Geschäftsführer.

Jetzt geht Peter Krentz öfter Angeln, kümmert sich um sein Damwild. Und hin und wieder freut er sich. Über die Entscheidung, die sie vor 30 Jahren getroffen haben. Und über die gelungene Ost-West-Kooperation. Die biologisch-dynamische Zusammenarbeit in Brodowin.

von Ernst-Ludwig von Aster,  in:  Deutschlandfunk Kultur, Mediathek vom 6.8.21, 13.42h   „Länderreport“   

https://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=2&audioID=4

Das System Milch

Wie geht Bewusstseinswandel? Publizisten, Journalisten und Filmemacher können wesentliche Bewusstseinsanstöße liefern, so wie Erwin Wagenhofer mit „We feed the world“ über die industrialisierte Nahrungsmittelproduktion (2005), Al Gore mit „Eine unbequeme Wahrheit“ über den Klimawandel (2006) oder unlängst die britische Filmproduktion über die Vermüllung der Ozeane.

In der ARD wurde im Juni 2021 die Arte-Produktion „Das System Milch“ aus dem Jahr 2017 einem breiten Publikum präsentiert, in der ein realistisches Bild dieses Wirtschaftszweiges gezeichnet wird. Wesentliche ökonomische Grundbegriffe wie Effizienzsteigerung, Wachstum, ökologische und gesundheitliche Aspekte, das Wohlergehen von Mensch und Tier, Konkurrenzdruck, die Macht von Preisen und Märkten werden hier anschaulich verdeutlicht. Zentrale Aussagen sind im Textauszug wiedergegeben und können damit gründlich bearbeitet werden.

Der Film ist verfügbar bei YouTube unter „Das System Milch – ganze Doku“ (90 Minuten)

>>Textauszug zur Vor- und Nachbereitung

Das Bruderkalb: Ein Beitrag zur Lösung des Milchmarktdilemmas

von Jochen Ketels

Wer Butter, Käse, Milch und Joghurt zu sich nehmen möchte, sollte sich klarmachen, dass Kühe nur dann Milch geben, wenn sie jedes Jahr ein Kalb bekommen. Davon ist aber jedes zweite im Sinne der Milchwirtschaft ein nutzloses männliches Tier. Diese werden sofort nach der Geburt unter Trennungsschmerzen von ihrer Mutter separiert, müssen die Milch aus Eimern trinken und werden dann nach einem qualvollen Transport oftmals durch ganz Europa zu Kalbfleisch verarbeitet. Manche Biobetriebe wollen diese Praxis jetzt mit der „kuhgebundenen Aufzucht“ ändern.

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Von Bio zu regenerativer Landwirtschaft

von Julius Palm

„Erst später stieß ich auf den Begriff der regenerativen Landwirtschaft, welcher als Grundgedanke allen Projekten gemein ist. Es geht darum, wie wir den Ökosystemen etwas zurückgeben können statt ihnen lediglich Ressourcen zu entziehen. Wie Lebensmittelproduktion mit der Natur – statt gegen sie – funktionieren kann. Wie Mensch und Ökosystem in ein positives und produktives Verhältnis treten können. Eine Lebensmittelproduktion, die Fruchtbarkeit, Diversität, Produktivität und Stabilität nicht ab-, sondern aufbaut. Die in Kreisläufen denkt und den Ökosystemen nicht nur entnimmt, sondern auch zurückgibt. Eine geniale und wünschenswerte Vision, oder nicht? Dieser Kerngedanke bricht mit dem Narrativ industrialisierter Gesellschaften der letzten 150 Jahre…“

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Die Milchmaschine

Warum stehen heute viele Landwirte vor dem Ruin? Und warum leben die Hochleistungskühe von heute nicht mehr lange?
„Mein Vater hatte seinen Bauernhof so geführt, wie es damals üblich war. Im Winter standen die Kühe im Stall, den Sommer verbrachten sie auf der Weide. Jeden Morgen und jeden Abend fuhr mein Vater mit dem Trecker die zwei Kilometer zu ihnen hinüber. Die Kühe trotteten zum Futterwagen, und während sie das geschrotete Getreide fraßen, das von unseren eigenen Feldern stammte, schloss mein Vater eine Vakuumpumpe an die Zapfwelle des Treckers an, die für Unterdruck in den drei Melkgeschirren sorgte. Viel Aufwand für ein paar Liter Milch. Ließ sich das nicht rentabler gestalten?“
Heute wird das gemacht. Die ca. 200 Milchkühe werden in einer Art begehbarer Maschine, einem „20er swing-over side-by-side Melkstand“ gemolken, in den 20 Kühe gleichzeitig hineinpassen, mit Chip am Halsband und von computergesteuerten Futterautomaten während des Melkens versorgt.
„Milchkühe können bis zu 20 Jahre alt werden. Die typische deutsche Hochleistungskuh stirbt jung. Sie wird gerade mal zwei oder drei Jahre gemolken und dann geschlachtet. Meistens, weil sie krank ist. Die Tiere leiden an Euter- und Klauenentzündungen, an Stoffwechselkrankheiten und Fruchtbarkeitsstörungen: Es ist schlicht die Strapaze. Die Tiere sind dem Leistungsdruck nicht gewachsen.“
Die Folgen der Effizienzrevolution: „Die vermeintliche Effizienz ihrer Höfe hat die Bauern nicht reicher gemacht. Im Gegenteil, sie hat zu einer absurden Lage geführt: Die Hochleistungskühe geben so viel Milch, dass sie davon krank werden. Mehr Milch als je zuvor.“

Und der Marktmechanismus sorgt für die fallenden Preise. „Also passiert das, was immer passiert, wenn auf einem freien Markt das Angebot größer ist als die Nachfrage: Die Preise fallen. Und fallen. Und fallen. Und die Bauern, die ja nicht einfach aufhören können zu melken, denn die Kühe sind ja da, die Euter sind ja voll, verdienen mit ihrer Milch kein Geld mehr. Im Gegenteil, die Produktionskosten sind längst höher als die Erlöse. Ein durchschnittlicher Bauer macht mit jedem Liter Milch, den ihm seine Kühe liefern, mehr als zehn Cent Verlust. Die Bauern verlieren also jeden Tag Geld. Dabei müssen sie den Banken eigentlich dringend Geld zurückzahlen.“
„Der niedrige Milchpreis aber geht nicht von allein vorüber. Er entspringt keiner kurzzeitigen Krise. Sondern einem kranken System, das permanente Produktionssteigerungen mit Wohlstand gleichsetzt.“
Wie kann dieses System geändert werden?

aus: Tanja Busse: Die Milchmaschine, ZEIT-Online vom 30.6.2016, verfügbar unter https://www.zeit.de/2016/26/landwirtschaft-milchbauern-kuehe-produktion (für ZEIT-Abonnenten kostenfrei)

Das Schicksal des Lachses

Hannes Jaenicke im Interview

Lachs schmeckt und ist nahrhaft, für immer mehr Menschen ist dieser Leckerbissen verfügbar geworden. Doch was sind die Folgen? Dass massenhafte Produktion und Konsum die Lebensbedingungen des Fisches fundamental verändern, wird erst klar, wenn sich engagierte Menschen des Themas annehmen, in diesem Fall der Dokumentarfilmemacher Hannes Jaenicke Die Folge: wenn es Fisch und Natur gut gehen soll, dann darf der Mensch nicht alles tun, was ihm gefällt.

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Konsumentenmacht

Wie wir uns über unseren Speisefisch informieren können

Dass unsere Kaufentscheidungen eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung des Wirtschaftslebens spielen, ist mittlerweile allgemein bekannt. Daraus erwächst allerdings ein neues Verantwortungsbewusstsein: wir müssen noch viel über die Produktions- und Handelsbedingungen lernen.
Zum Beispiel Seelachs: nach dem Ratgeber des WWF ist es unbedenklich, Seelachs aus MSC-zertifiziertem Wildfang zu konsumieren. Doch da die Bewertung bei vielen Fischarten von der Herkunft und den Fangmethoden abhängt, sind transparente Lieferketten nötig.

Quelle: Maritime Stewardship Council (MSC), Followfish, WWF

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Tödliche Freundschaft

Florian Schwinn im Radiogespräch

Der Journalist Florian Schwinn berichtet aus eigenem Erleben von der Industrialisierung der Landwirtschaft. Er plädiert für eine respektvolle Tierhaltung und begründet, warum wir nicht ohne sie leben können.

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Globales Problem: „Lock-down“ lässt Bienen nicht abheben

Ein Beitrag des Österreichischen Rundfunks

Auch in der Imkerei zeigen die Einschränkungen durch Corona die Schwachstellen einer ertragsorientierten Wirtschaftsweise auf: die üblichen Bienentransporte begünstigen die Ausbreitung der Varroamilbe. Bienen seien Wildtiere und keine Betriebsmittel.

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